Manchen gilt Christian Lindner als größte Nachwuchshoffnung der FDP, anderen als Hobbyphilosoph mit dem Hang zum Belehren und wieder anderen bloß als taktisch versierter Machtmensch. Auf jeden Fall ist er ein Politiker, der in seinen 34 Lebensjahren schon erstaunlich viel auf die Beine gestellt hat. Er hat drei Unternehmen gegründet, zog als jüngster Abgeordneter in den NRW-Landtag ein und könnte wohl schon in wenigen Wochen FDP-Chef sein, wenn er es denn wollte. Doch nicht alles an diesem Leben auf der Überholspur scheint Lindner rückblickend so gut zu gefallen. Recherchen der WirtschaftsWoche zeigen, dass Lindner oder sein Umfeld die machtpolitische Verschnaufpause im NRW-Landtag offenbar auch dazu nutzt, die Deutungshoheit über die Biografie des Liberalen zu erreichen.
Ende November wendet sich der Pressesprecher der NRW-FDP an die WirtschaftsWoche. „Außergewöhnliches Anliegen“ – schon der Betreff der E-Mail lässt einiges erwarten. Doch auf den ersten Blick ist es vor allem ein ziemlich nebensächliches Anliegen, das ihn da umtreibt. So war im Handelsblatt Verlag vor rund drei Jahren ein Porträt von Christian Lindner zu lesen, in dem es auch um dessen berufliche Vergangenheit ging.
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Die Politkarriere des „Wunderkinds“ beginnt rasant. 1979 in Wuppertal geboren, studiert er Politikwissenschaften, Öffentliches Recht und Philosophie in Bonn.
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Zunächst versucht er sich als Unternehmer: Er gründet 1997 eine Kommunikationsagentur für Unternehmen, 2000 folgt dann ein Startup, das jedoch erfloglos bleibt. Lindner verlässt es schon ein Jahr später, bald darauf geht es pleite.
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Fortan verschreibt sich Lindner ganz der Politik und arbeitet sich schnell in die obersten Sphären seiner Partei vor. 2000 wird er jüngster Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen, schon vier Jahre später Generalsekretär der Landespartei.
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Linders Erfolge bleiben auch in Berlin nicht unbemerkt. Der damalige Parteivorsitzende Westerwelle holt ihn in den Bundesvorstand und macht ihn 2009 – noch im Siegestaumel nach der famos gewonnen Bundestagswahl - zum Generalsekretär.
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Die Ambitionen des Duos sind hoch, gemeinsam rufen sie 2010 eine „geistig-politische Wende“ für Deutschland aus. Lindner soll der Partei neu Züge verpassen und ein neues Grundsatzprogramm ausarbeiten. Er wird Hoffnungsträger der FDP, Galionsfigur eines „mitfühlenden Liberalismus“.
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Doch die liberale Welt gerät schon bald aus den Fugen: Zweifelhafte Auslandsreisen von Westerwelle und die Mövenpickaffäre setzen der FDP zu, 2011 fliegen die Liberalen reihenweise aus Landtagen. Die 14,6 Prozent, mit denen die Partei mit starker Brust in die Regierung zog, schmelzen in Umfragen auf zwei Prozent.
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Ins Visier gerät nicht er, sonder der damalige Parteivorsitzender Westerwelle. Lindner stellt sich zwar loyal hinter ihn, dennoch gibt Westerwelle seinen Vorsitz nach langem Gezerre ab.
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Er hinterlässt ein Machtvakuum, das Phillipp Rösler als sein Nachfolger ausfüllen soll. Zusammen mit Lindner sollen die „jungen Wilden“ die Partei radikal aufräumen und sie aus den miesen Umfragewerten holen – bislang glücklos.
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Zumindest offiziell war das kein Grund für Lindners Rücktritt als Generalsekretär. Er begründete ihn mit der massiven Kritik der Parteibasis an der Organisation des Mitgliederentscheids zum europäischen Rettungsschirm.
Mit der Moomax GmbH wollte Lindner 2000 animierte digitale Persönlichkeiten, sogenannte Avatare, als Instrument zur Kundenkommunikation für den Internet-Handel verkaufen. Die Idee scheiterte, am Ende waren 1,4 Millionen Euro KfW-Fördergelder futsch. Nicht gerade ein Ruhmesblatt. In dem Porträt hieß es, Lindner habe die Idee dafür aus Science-Fiction-Büchern bezogen. Das aber sei falsch, bemerkte der Sprecher. Man möge den Artikel doch bitte nachträglich entsprechend korrigieren. Das Problem: Seinerzeit hatte es keinerlei Einwände gegen den Text gegeben. Schließlich enthüllt der Sprecher die tatsächlichen Motive: In Lindners Wikipedia-Eintrag wird auf den Text Bezug genommen, und solange die Quelle nicht verschwunden ist, lassen die Wikipedianer eine Veränderung des Eintrages nicht zu.
40 Änderungen von einer Adresse
Für sich genommen wäre der Vorfall eine Petitesse, hätte sie sich bei genauerem Hinsehen nicht als Verhaltensmuster erwiesen. So ist der Wikipedia-Eintrag von Christian Lindner in diesem Jahr einer der am häufigsten geänderten Artikel aller aktiven deutschen Politiker. Rund 500 Mal wurde er im vergangenen Jahr geändert. Der Eintrag über NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft kommt zwar auf die gleiche Anzahl von Änderungen, das aber im Verlauf von acht Jahren. Das Pikante daran: Ein bedeutender Teil der Beiträge scheint aus Lindners Umfeld selbst zu stammen.
Zu den eifrigsten Schreibern zählt die IP-Adresse mit dem nicht gerade einprägsamen, aber unverwechselbaren Namen 93.184.129.133. Im Sommer 2012 wurden von dieser Adresse aus mehr als 40 Änderungen vorgenommen. Ein misstrauischer Wikipedia-Autor mutmaßt im Diskussionsteil zum Artikel, ob dahinter wohl ein Lindner-Mitarbeiter stecke.
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