IP-Adresse gehört zum Düsseldorfer Landtag
Fehler bei Wikipedia
Kurz vor der Ernennung Karl-Theodor zu Guttenbergs zum Bundeswirtschaftsminister im Februar 2009 trug jemand seine zehn Vornamen bei Wikipedia ein - und fügte einen Wilhelm dazu. Ein anonymer Nutzer bekannte sich später im Bildblog dazu: "Ich fragte mich, ob es jemand merken würde, wenn ich zu der langen Namensliste einfach einen weiteren hinzufügen würde."
"Es stellte sich heraus: Niemand merkte es", berichtet der Manipulator über sein Vorgehen. Etliche Online-Medien, Zeitungen und Fernsehsender übernahmen dann die Erfindung ungeprüft: Süddeutsche Zeitung, Spiegel Online, taz, Rheinische Post samt Internetseite, das RTL-Nachtjournal. Der erfundene Name schaffte es sogar auf die Titelseite der Bild-Zeitung. Der komplette, richtige Name des Verteidigungsministers lautet übrigens: Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg
Foto: dapdIm Mai 2006 stellte sich heraus, dass der Siemens-Konzern den Eintrag über den damaligen Vorstandschef Klaus Kleinfeld schönschreiben wollte. So wurde seine Rolle bei dem Verkauf der Handy-Sparte des Unternehmens positiver dargestellt.
Foto: ap
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Im Jahr 2008 versuchte ein unbekannter Autor, die US-Politikerin Sarah Palin in ein besseres Licht zu rücken, indem er die wenig schmeichelhafte Passage über ihren Spitznamen „Sarah Barracuda“ aus einem Artikel löschte. Die Community sperrte den Eintrag zwischenzeitlich für Bearbeitungen.
Foto: rtr
- Bild: REUTERS
Nicht nur Politiker, sondern auch Unternehmen haben auch immer wieder versucht, die Einträge über sich oder ihre Produkte zu schönen. So löschte Microsoft beispielsweise eine kritische Passage über die Fehleranfälligkeit seiner Spielkonsole Xbox 360.
Foto: rtr
Im Februar 2009 berichtete die britische BBC, dass der damalige Premierminister Gordon Brown in einer Rede ein falsches Alter des Malers Tizian genannt haben soll. Dafür kritisierte ihn der konservative Oppositionsführer im Unterhaus. Wikipedia bestätigte aber die Angaben Browns, so dass ein Mitarbeiter der Opposition den entsprechenden Eintrag wiederum schnell abänderte.
Foto: dapdMehr als zehn Monate existierte in der englischsprachigen Wikipedia ein Artikel über die Insel Porchesia, die vor der syrischen Küste liegen sollte. Irgendjemand hatte diesen Eintrag dort vorgenommen - es dauerte allerdings fast ein Jahr, bis dieser Schwindel aufflog.
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Wegen Pädophilie soll der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg ein Jahr im Gefängnis gesessen haben. So stand es im
November 2005 einen Tag lang in der englischsprachigen Ausgabe von Wikipedia.Foto: rtr
Studenten kommen auf wahrlich merkwürdige Ideen. Laut Wikipedia starb der Schweizer Informatikprofessor Bertrand Meyer am Heiligen Abend 2005. Erst nach fünf Tagen wurde der Fehler entdeckt. Bei dem Eintrag soll es sich um einen Scherz seiner Studenten gehandelt haben.Foto: dpa
Im Oktober 2005 legte der schottische Call-Center-Angestellte Alan Mcilwraith einen Wikipedia-Artikel über sich selbst an und behauptete frech, ein hochdekorierter Kriegsheld zu sein. Im April 2006 deckte eine Zeitung den Schwindel auf.
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Im Mai 2005 manipulierten offenbar Bundestagsmitarbeiter den Artikel über den CDU-Spitzenkandidaten im NRW-Wahlkampf, Jürgen
Rüttgers. Sie strichen negative Passagen. Änderungen an Wikipedia.-Einträgen können zurückverfolgt werden und mittels der IP-Adresse wurde im Falle Rüttgers ein Computer im Bundestag ermittelt.Foto: dpa
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Er könnte recht haben, denn die Adresse lässt sich dem Düsseldorfer Landtag zuordnen. Und damit nicht genug: Im Herbst 2011, Lindner war noch Generalsekretär der Partei in Berlin, beteiligten sich sieben verschiedene Nutzer in mehr als 20 Beiträgen am Artikel, sie alle entstammen dem technischen Kosmos der Bundestagsverwaltung. Ein Sprecher Lindners mag darin kein Fehlverhalten erkennen: „Wenn es sachlich falsche Tatsachendarstellungen gibt, senden wir Korrekturvorschläge an Wikipedia.“ Dass es in den Einträgen selten um die Wahrheit, sondern meist um die Deutung derselben geht, kommentiert er nicht. Er verweist zudem auf einen einzelnen Eintrag, in dem sich Christian Lindner mit Klarnamen zu erkennen gegeben hatte, dies belege, dass Lindner „der direkte Austausch mit Bürgern und Bürgerinnen wichtig ist“.
"Artikel aus technischen Gründen offline"
Und auch der Redaktionskontakt hat offenbar Methode: Ein Artikel des „Tagesspiegel“ aus dem Jahr 2004 mit dem Titel „Pleite mit der Firma – Glück in der Partei“, in dem es um Lindners unternehmerisches Scheitern geht, dient lange als Quelle in der Biografie. Im März 2012 aber ist er plötzlich verschwunden, wundert sich ein Wikipedia-Schreiber. Der Autor vom „Tagesspiegel“ erinnert sich, dass Lindners Mitarbeiter mitten im NRW-Wahlkampf bei ihm interveniert hatte, um den Artikel löschen zu lassen. Er habe sich darauf nicht eingelassen. Verschwunden ist der Artikel trotzdem, bei Wikipedia taucht er als Quelle nicht mehr auf. Beim Tagesspiegel heißt es zunächst, der Text sei „aus technischen Gründen“ offline, wenig später ist er wieder da.
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Der Niedergang der FDP
Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg: Die FDP kassiert im Frühjahr drei krachende Wahlniederlagen. In Mainz fliegen die Liberalen nicht nur aus der Regierung, sondern auch aus dem Landtag. Sie bekommen nur noch 4,2 Prozent der Stimmen, 3,8 Prozent weniger als fünf Jahre zuvor. Auch in Sachsen-Anhalt ist für die FDP kein Platz im Parlament, die Partei scheiterte mit 3,8 Prozent klar an der Fünf-Prozent-Hürde. In Baden-Württemberg fällt die FDP von 10,7 auf 5,3 Prozent. Grün-Rot übernimmt die Macht. Das Ende von…
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… Guido Westerwelle als Parteichef ist damit besiegelt. Christian Lindner und Daniel Bahr besuchen den Außenminister am 3. April in seiner Berliner Dachgeschosswohnung. Sie geben ihm zu verstehen, dass es mit ihm nicht mehr geht. Westerwelle willigt ein und tritt von seinem Amt zurück, bleibt aber Außenminister.
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In Libyen lässt Diktator Muammar al-Gaddafi sein eigenes Volk bombardieren. Die Welt will das Morden beenden, der UN-Sicherheitsrat stimmt über ein Eingreifen des Westens ab. Franzosen, Briten, Engländer, die USA und Südafrika, Libanesen und Nigerianer stimmen zu. Deutschland enthält sich, gemeinsam mit Russland und China. Außenminister Westerwelle manövriert die Bundesrepublik ins Abseits.
Nach dem Sturz des Diktators behauptet Westerwelle allen Ernstes, deutsche Sanktionen hätten das Land befreit.
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Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler wird am 13. Mai in Rostock mit 95,1 Prozent der Stimmen zum neuen FDP-Vorsitzenden gewählt. „Ab heute wird die FDP liefern“, kündigt er in seiner Antrittsrede an.
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Trotz Führungswechsels verharren die Liberalen im Umfragetief. Die FDP startet einen Verzweiflungsversuch, um die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern zu ihren Gunsten zu entscheiden: Sie macht auf Wahlplakaten Stimmung gegen die Einführung von Eurobonds. Der Erfolg bleibt aus, die FDP verliert 6,8 Prozent und fliegt aus dem Landtag.
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In Berlin folgt das nächste Fiasko. Die FDP holt gerade einmal 1,8 Prozent der Stimmen zum Berliner Abgeordnetenhaus und liegt damit hinter der NPD und nur knapp vor der Tierschutzpartei.
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Rösler beteuert anschließend, dass die FDP ihren europäischen Kurs nicht verlassen wolle und beharrt darauf, dass eine „geordnete Insolvenz“ Griechenlands eine Option bleiben müsse. Gehört wird der Parteivorsitzende nicht, die Euro-Rettung wird von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel gestaltet. Die FDP trägt ihre Rettungspläne mit, die Basis murrt.
Eine Gruppe um den FDP-Abgeordneten Frank Schäffler sammelt mehr als 3500 Unterschriften von Parteimitgliedern und erzwingt damit einen Mitgliederentscheid zum Europa-Kurs der Liberalen. Die Euro-Rebellen um Schäffler wollen die FDP in dem Entscheid gegen den Willen der FDP-Führung um Rösler auf ein Nein zum geplanten Euro-Rettungsfonds ESM festlegen.
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Der Entscheid stiftet Unruhe in der Partei. Die Initiatoren werfen der Parteispitze Behinderung vor. Rösler und Lindner ziehen heftige Kritik auf sich, als sie vor Ablauf des Entscheids öffentlich die Erwartung äußern, dass die nötige Mindestbeteiligung von einem Drittel der Mitglieder verfehlt werde.
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Fehlende Loyalität von den Parteigrößen Rösler, Brüderle und Westerwelle sowie der Ärger um den Mitgliederentscheid zum Euro-Kurs: FDP-Generalsekretär Christian Lindner tritt zurück. Auch Philipp Rösler gerät zunehmend in die Kritik.
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Patrick Döring folgt auf Lindner, doch auch zu Beginn des Jahres 2012 stolpert die FDP von einer Verlegenheit in die andere - auch weil der von FDP und CDU/CSU gewählte Bundespräsident Christian Wulff im Zuge seiner Kredit-Affäre dem Ansehen des Amtes schadet. Philipp Rösler holt zum Paukenschlag aus: Er prescht...
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All das ist kein Verbrechen, aber irgendwie bedenklich ist es schon. Denn die Geschehnisse werfen ein Schlaglicht auf einen Graubereich zwischen Imagepflege und Manipulation, der in der digitalen Welt erst möglich geworden ist und mit dem wir bis heute nicht richtig umzugehen gelernt haben. Auf der einen Seite ist es nachvollziehbar, dass einer eingreifen will, der sich im Internet verunglimpft fühlt. Bloß inwieweit verändert er damit den Charakter der Quelle selbst? Studiert man die Wikipedia-Einträge, die vermutlich aus dem Lindner-Umfeld stammen, so zeigt sich: Selten geht es darum, relevante Fakten hinzuzufügen, stattdessen wird die Deutung von Ereignissen verschoben. Einmal fügt die Landtags-IP den Satz hinzu: „Hans-Dietrich Genscher sagte, Lindner sei es ,gegeben, in die Fußstapfen von Karl-Hermann Flach zu treten‘. “ Ein anderes Mal wird ein Zusatz gelöscht, in dem es über eine Aussage Lindners heißt, sie sei „quer durch alle Parteien auf Ablehnung gestoßen“.
Der letztendliche Wikipedia-Artikel ist dann aus beiderlei Sicht unbefriedigend. Lindners anonyme Unterstützer stellen ihre Aktionen umgehend ein, nachdem ein Wikipedia-Benutzer ihre Herkunft in die Nähe des Landtags rückt. Die plumperen Versuche, biografische Details sprachlich aufzuhübschen, fliegen sofort aus der Biografie heraus. Eines jedoch kann die effiziente Selbstkontrolle des Lexikon-Netzwerks nicht verhindern: dass sich der Artikel zunehmend aufbläht. Denn anders als in klassischen Lexika gibt es bei Wikipedia keine echte Relevanzkontrolle für Inhalte. Was drin ist, wird genau so groß, wie die Fans eines Themas es für richtig halten. So umfasst die Biografie des 34-jährigen FDP-Landesvorsitzenden bereits acht gedruckte Seiten – der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel, 53, kommt auf gerade einmal vier Seiten.
- Seite 1: Der perfekte Internet-Lebenslauf für Lindner
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Alle Kommentare lesen07.01.2013, 12:42 UhrAnonymer Benutzer:Nowhereman
Ich bin seit über sieben Jahren Wikipedia-Autor und Frage mich beim Lesen dieses Artikels, worin denn jetzt konkret die angebliche "Manipulation" bestehen soll. Jeder kann Wikipedia-Artikel bearbeiten, das ist das Prinzip der Wikipedia. Dass Personen den Artikel zu ihrer Person bearbeiten ist absolut nichts Ungewöhnliches und dass sie dabei an einer eher positiven Darstellung interessiert sind, ist es ebenfalls völlig normal. Mit "Manipulation" hat dies rein gar nichts zu tun.
07.01.2013, 06:11 UhrAnonymer Benutzer:Joselyn
Unternehmer Lindner: Know How im Klüngeln und Geldverbrennen?
Existenzgründer staunen: Wie in aller Welt gelangt man mit 30.000 € Eigenkapital und einer grotesken „Geschäftsidee“ an einen 1,4 Millionen-Kredit – und das auch noch ohne persönliche Haftung?
Könnte es daran gelegen haben, daß Lindner zum Zeitpunkt der Kreditvergabe Mitglied des NRW-Landesvorstandes der FDP war, und die Kreditvergabe durch die von den Regierungsparteien gesteuerte Bankengruppe KfW erfolgte? Gibt es eine andere Erklärung als politischen Klüngel für solche nicht nachvollziehbaren finanziellen Vorteile?
Erstaunlich ist auch Lindners Geschäftsidee: Er wollte Avatare, also Bilder als Stellvertreter für reale Personen, für Bezahlsysteme verkaufen. Preisfrage an die Kredit-vergebenden Herrschaften bei der KfW: Wozu benötigt man denn bitteschön Avatare zum Einkaufen/Bezahlen? Wenig überraschend sah niemand einen Nutzen in Herrn Lindners Idee. Bevor seine Firma Moomax mangels Kunden Insolvenz anmelden mußte, warf ihn ein neuer Investor hinaus. Das Geld wurde übrigens nie zurückgezahlt.
Und dieser Mann will tatsächlich, dass die Leute glauben, er sei ein "Saubermann" ? Das da einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, um es einmal vorsichtig auszudrücken, dürfte jedem klar sein.
05.01.2013, 18:16 UhrAnonymer Benutzer:nks
„Denn anders als in klassischen Lexika gibt es bei Wikipedia keine echte Relevanzkontrolle für Inhalte. Was drin ist, wird genau so groß, wie die Fans eines Themas es für richtig halten.“
Mit Verlaub - das ist großer Unsinn. Mir klingeln heute noch die Ohren von diversen Relevanzdebatten in der WP. Und die wurden mitnichten immer von den „Fans eines Themas“ bestimmt oder gewonnen.