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Analyse & Strategie: Börsenpsychologie


28.06.2012 14:51
"Der typisch deutsche Anleger ist sehr geduldig"
Der Züricher Universitätsprofessor Thorsten Hens zählt zu den führenden Ökonomen im Bereich Behavioural Finance. In seinen Studien ist er auf interessante kulturelle Unterschiede gestoßen. Daraus lassen sich auch Lehren für die persönliche Anlagestrategie ziehen.
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boerse.ARD.de: Herr Hens, die traditionelle Wirtschaftswissenschaft unterstellt die Rationalität aller Anleger. Warum irrt sie?

Thorsten Hens: Nun ich denke nicht, dass die traditionelle Finance ernsthaft glaubt, dass alle Anleger rational sind. Diese Hypothese könnte ich schon durch mein eigenes Verhalten widerlegen. Sie glaubt vielmehr, dass Anleger im Großen und Ganzen rational sind, sodass diese Hypothese am besten zur Erklärung der Kursbewegungen taugt. Sie irrt aber auch in dieser Hinsicht, da selbst auf der Ebene des Marktes einige Irrationalitäten, wie zum Beispiel spekulative Blasen und Crashes, sehr häufig zu beobachten sind.

boerse.ARD.de: Selbst die Kultur scheint das individuelle Investorenverhalten zu beeinflussen…

Hens: Ja, dem ist so. Die Behavioural Finance hat umfassende Evidenz geliefert, dass die Abweichungen vom rationalen Verhalten nicht zufällig sind. Die kulturellen Studien zur Behavioural Finance zeigen nun sogar, dass diese systematischen Abweichungen auch durch den kulturellen Hintergrund der Anleger bestimmt sind.

Dem irrationalen Anleger auf der Spur
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  • Prof. Dr. Thorsten Hens, 1961 in Deutschland geboren, habilitierte an der Universität Bonn. Seit 2007 ist er Direktor des Instituts für Banking und Finance der Universität Zürich. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Behavioural Finance, die sich unter anderem mit dem irrationalen Verhalten von Anlegern auf den Finanzmärkten beschäftigt. Hens ist Gründungspartner der Behavioural Finance Solutions GmbH. Mehrere Großbanken, darunter die Credit Suisse und die Deutsche Bank, setzen Hens' Erkenntnisse für die Beratung institutioneller Kunden ein.

boerse.ARD.de: Wie verhält sich denn der typisch deutsche Anleger?

Hens: In unseren kulturellen Studien zum Anlageverhalten haben wir herausgefunden, dass die nordeuropäischen und die deutschsprachigen Länder die geduldigsten Anleger haben. Sie sind aber bezogen auf die Verlusttoleranz nur im Mittelfeld der Anleger weltweit. In diesen Ländern ist man also nicht sehr gut darin, Verluste wegzustecken.

boerse.ARD.de: Daheim ist es doch am Schönsten: Trifft das auch auf den deutschen Anleger zu?

Hens: Ja, das ist leider so. Die deutschen Anleger halten zu 80 Prozent deutsche Aktien, die französischen zu 90 Prozent französische Aktien und die Amerikaner sogar zu 110 Prozent US-Aktien - letztere sind also zu 10 Prozent verschuldet. Zunächst dachte man, eine Erklärung für diesen Home Bias seien Wechselkursrisiken. Nach der Einführung des Euro hat sich aber an dem Home Bias der deutschen und französischen Anleger nichts geändert.

Bild zum Artikel vergrößernDeutschsprachige und nordeuropäische Anleger sind am geduldigsten 

boerse.ARD.de: Wie wirkt sich dieses individuelle Anlegerverhalten auf die Marktrendite aus?

Hens: Das Erstaunliche ist, dass, obwohl die Finanzmärkte vordergründig betrachtet vollkommen global sind, wir dennoch Unterschiede in den Marktrenditen finden. Diese lassen sich durch die kulturellen Unterschiede im Anlegerverhalten erklären. Der starke Home Bias führt dazu, dass länderspezifische Unterschiede im Anlegerverhalten auf Marktrenditen durchschlagen. Geduldige und verlusttolerante Anleger sind prädestiniert, in Aktien zu investieren, da diese zwar kurzfristig eher Verlustpotenzial haben, sie aber langfristig betrachtet eine höhere Rendite als Festverzinsliche aufweisen. Wir beobachten nun, dass in Ländern mit geduldigen und verlusttoleranten Anlegern die Überrendite von Aktien über Rentenpapiere niedriger ist als in ungeduldigen und verlustaversen Ländern. Es ist also so, dass dort, wo die meisten Anleger gerne Aktien halten, die Rendite von Aktien geringer ist als die von festverzinsliche Anlagen. Es ist wie sonst im Leben auch: Wenn alle dasselbe wollen, bekommt keiner was!

boerse.ARD.de: Wäre es dann aber für typisch deutsche, sprich sehr geduldige, Anleger nicht besser, in einen Schwellenländer-Markt zu investieren, der ihnen eine hohe Überrendite bietet?

Hens: In der Tat ist das eine wichtige Schlussfolgerung aus unserer Forschung. Abgesehen von dieser Begründung gibt es aber auch sonst gute Gründe, auf mittlere Sicht eher in Schwellenländer zu investieren. Die katastrophale Haushaltslage der entwickelten Länder lässt nicht viel Spielraum für Wachstum, sodass die Schwellenländer noch schneller mit uns aufschließen werden.

boerse.ARD.de: Zurzeit bewegt kaum ein Thema die Märkte so sehr wie die europäische Schuldenkrise. Kommt das kulturell geprägte Anlagerverhalten auch hier zum Tragen? Hat es die Krise vielleicht sogar mit verursacht?

Hens: Die Schuldenkrise hat natürlich viele Ursachen. Es ist ökonomisch unsinnig, sehr unterschiedliche Länder in eine gemeinsame Währung einzusperren. Aber der Euro war ja von Anfang an eine politische Entscheidung. Wir sehen durch unsere Forschung, dass sich die ungeduldigen Länder immer mehr bei den geduldigeren verschulden. Dies ist auch ökonomisch vernünftig, solange man nicht vergisst, die Schulden bei Zeiten zurückzuzahlen. Doch genau das scheint ja nun das Problem zu sein.

boerse.ARD.de: Wenn Sie ein Fazit wagen: Was können Privatanleger aus diesen Studien an Erkenntnissen mitnehmen? Welche Lehren lassen sich daraus für die persönliche Anlagestrategie ziehen?

Hens: Unsere Studien sind natürlich keine Blaupausen, an den Finanzmärkten reich zu werden. Doch sie öffnen den Anlegern das Blickfeld für einige Irrationalitäten in den eigenen Entscheidungen und auch auf Marktebene. Wenn man zum Beispiel versteht, dass man "von Kultur aus" zu gewissem Fehlverhalten neigt, so hilft dies, das eigene Verhalten besser zu reflektieren. Und unsere Ergebnisse zu Marktrenditen sollten helfen, sich nicht so sehr über ökonomische Trends zu wundern, die unweigerlich aus dem Zusammenspiel von irrationalen Anlegern resultieren.

Das Interview führte Angela Göpfert.

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