boerse.ARD.de: Der Dax hat seit seinem Jahreshoch bei 7.194 Punkten in der Spitze 13 Prozent verloren. Kann man da noch von einer Konsolidierung sprechen oder ist das schon eine Trendwende?
Wieland Staud: Ich muss ganz ehrlich gestehen, vor drei Wochen hätten wir noch eher von einer Konsolidierung gesprochen. Mittlerweile muss man an diese Einschätzung aber ein deutliches Fragezeichen machen. Vieles von dem, was seither geschehen ist, trägt eher Züge einer Trendwende. Das, was sich als schöner Neuanfang ausnahm, scheint im Nachhinein nur eine kurze Episode gewesen zu sein. Der deutliche Kursrückgang im Dax genügt nicht mehr den Anforderungen an eine Konsolidierung.
boerse.ARD.de: Was stimmt Sie so pessimistisch?
Staud: Dax und Dow Jones sind unter ihre jeweiligen, im September 2011 ausgeprägten Aufwärtstrends zurückgefallen. Das ist das Kernargument, was für weitere Kursrückgänge spricht. Hinzu kommt ein weiterer Punkt, der relativ wenig beachtet wird: Der Dax als Index kann immer nur so gut sein wie die 30 Werte, aus denen er besteht. Wenn Sie mich fragen, dann würde ich viele dieser Aktien aktuell lieber verkaufen als kaufen. Auch das ist ein klarer Hinweis dafür, dass sich der Dax gerade in einer schwierigen Lage befindet.
boerse.ARD.de: In den letzten Tagen schien sich der Dax allerdings an einer Bodenbildung zu versuchen. Oder war das nur eine kurze technische Gegenbewegung auf die zuvor erlittenen herben Verluste?
Staud: Innerhalb eines Abwärtstrends gibt es viele solcher Erholungsphasen, die Anlegern immer wieder Hoffnungen machen. Meist zu Unrecht. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass das, was wir nun gesehen haben, mehr war als ein kleines Luftholen. Vom Euro ist ebenfalls keine Unterstützung zu erwarten, im Gegenteil: Die Gemeinschaftswährung sieht aktuell sehr schwach aus, sie hat ihren langfristigen Aufwärtstrend gebrochen. Ich gehe davon aus, dass der Euro weiter fallen wird.
boerse.ARD.de: Wo könnte der Dax auf seinem Weg nach unten nun Halt finden, was sind wichtige Unterstützungen?
Staud: Wir befinden uns gerade mitten in so einem Bereich: Bei 6.350 Punkten hatte der Dax 2010 den Deckel drauf. In diesem Bereich, plus minus 100 Punkte, hatte er sich mehrfach den Kopf gestoßen. Diese Hochpunkte bieten nun eine gewisse Unterstützung. Wenn auch diese Unterstützung nicht hält, ist nach unten viel möglich. Dann steht wenigstens die runde Marke von 6.000 Zählern zur Disposition.
boerse.ARD.de: Vor gar nicht mal allzu langer Zeit haben Sie noch das strategische Kursziel von stolzen 8.000 Punkten für den Dax ausgerufen. Wie stehen Sie heute dazu?
Staud: Man muss die ganze Geschichte kennen: Ich habe dieses Kursziel im November 2011 ausgegeben. Damals stand der Dax bei 5.800 Punkten. Hinzu kommt: Die 8.000 Punkte waren und sind unser strategisches Kursziel für die nächsten zwei, drei Jahre. Davon sind wir bislang nicht abgerückt. All das, was ich davor gesagt habe, bezog sich auf die mittelfristigen Dax-Perspektiven. Und die sind in der Tat schlecht.
boerse.ARD.de: Andererseits macht die Saisonalität durchaus Hoffnung. So wird in einem typischen US-Präsidentschaftswahljahr gegen Ende Mai ein zyklisches Tief ausgeprägt, danach geht es aufwärts
Staud: Nun ja, man muss akzeptieren, dass es so etwas gibt wie Saisonalitäten. Sich nur an Saisonalitäten zu orientieren, ist aber großer Bockmist. Wenn man in die Vergangenheit schaut, kann man sehen, wie oft Saisonalität von der Markttechnik ausgehebelt wurde. Mein Statistikprofessor hat mich einmal gelehrt, dass eine Stichprobe mindestens 30 Werte enthalten sollte. Man müsste also 120 Jahre zurückgehen, um auf 30 US-Präsidentschaftswahljahre zu kommen. Für sich genommen sind Saisonalitäten ganz nett, aber kein Argument, auf dessen Basis man allein Kauf- und Verkaufsentscheidungen gründen kann.
boerse.ARD.de: Was bedeutet das nun für den Privatanleger, wie sollte er sich jetzt positionieren?
Staud: Fakt ist: Wenn so ein mittelfristiger Aufwärtstrend bricht, wie soeben geschehen, sind weitere spürbare Kursverluste wahrscheinlich. Die Lage ist momentan schwierig. Es sieht definitiv nicht danach aus, dass man jetzt unbedingt Aktien kaufen sollte.
Das Gespräch führte Angela Göpfert.
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