Auf den ersten Blick haben die Märkte in der vergangenen Woche genau das bekommen, wonach sie so gierig verlangten: eine vermeintlich starke Antwort der Politik auf die Schuldenkrise in Euroland.
Neben den Finanzhilfen für die beiden großen Krisenländer der Eurozone hatten sich die Spitzenpolitiker in Brüssel auch darauf verständigt, dass Europas Banken direkt aus dem Euro-Rettungsschirm ESM refinanziert werden können. Euro und Aktien reagierten mit Kursgewinnen auf die Beschlüsse.
Kein Anlass zu Euphorie
Doch seither melden sich in der Finanzmarktgemeinde immer mehr Kritiker der Gipfelbeschlüsse zu Wort, sie verweisen vor allem auf die Risiken für Deutschland als größten Beitragszahler. "Langfristig gehen wir in eine Transfer- und Haftungsunion", befürchtet etwa Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Und Ulrich Leuchtmann, Devisen-Experte der Commerzbank, ist überzeugt: "ESM-Geld gegen Auflagen, die lediglich pro forma einschränken und keinem Schuldnerland wehtun die Euphoriker werden noch ihr blaues Wunder erleben."
Die kalte Enteignung der Sparer
Vor diesem Hintergrund blickt so mancher Marktbeobachter mit großer Verwunderung auf die idyllische Ruhe am deutschen Rentenmarkt. Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen ist seit den Gipfelbeschlüssen nur minimal gestiegen auf zuletzt rund 1,5 Prozent und verharrt damit immer noch im historisch tiefen Terrain.
Zieht man davon noch die aktuelle Inflationsrate von 1,9 Prozent ab, so bleiben den Anlegern negative Zinsen von 0,4 Prozent. Im Fachjargon wird dies "finanzielle Repression" genannt und meint, dass die Sparer bei einem Investment in Bundesanleihen de facto enteignet werden.
"Nur renditeloses Risiko"
Auch vor diesem Hintergrund investiert etwa der Vermögensverwalter Peter Huber von StarCapital derzeit nicht in Bundesanleihen. Hier werde das Risiko von den Investoren unterschätzt, glaubt der Marktkenner. "Statt risikoloser Rendite erhält der Anleger nur renditeloses Risiko", unterstreicht
Huber im Interview mit boerse.ARD.de.
Und auch Andreas Vester, zuständig für Fixed Income Portfolio Management bei HSBC Global Asset Management, meidet Bundesanleihen wie der Teufel das Weihwasser - aus Angst vor künftig steigenden Renditen.
Italien darf nicht fallen
Mario Gruppe, Analyst für Deutschland und Euroland bei der Nord LB, hält dagegen: "Solange die Schuldenkrise weiterschwelt, wird Deutschlands Bonität über allen strahlen und die Renditen für Bundesanleihen
werden auf niedrigem Niveau verharren."
Einig sind sich die Experten allerdings in einem Punkt: Sollte Italien etwa nach neuerlichen desaströsen Konjunkturdaten ins Visier der Finanzmärkte geraten und die Renditen für italienische Anleihen so stark anziehen, dass auch dieses Land unter den Rettungsschirm ESM schlüpfen muss, dann dürfte Deutschland sein blaues Wunder erleben.
Sprunghafter Anstieg der Renditen?
Investoren dürften nämlich spätestens dann auf den Trichter kommen, dass letzten Endes Deutschland die Rechnung für die Rettungsversuche der überschuldeten Peripherieländer begleichen muss. Und das alles vor dem Hintergrund, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel zwar in Europa als eiserne Sparlady gilt.
Tatsächlich aber schwoll der deutsche Schuldenberg unter ihrer Ägide auf über zwei Billionen Euro an. Sollten sich Investoren dieser Tatsachen bewusst werden, so dürften die Renditen für Bundespapiere sprunghaft anziehen.
"Kein Pappenstiel!"
Für Anleger, die zu diesem Zeitpunkt bereits in Bundesanleihen investiert sind, ist dies naturgemäß kein besonders erfreulicher Gedanke. HSBC-Experte Vester macht eine einfache Rechnung auf:
"Wenn die Zinsen im Schnitt um 1,0 Prozent steigen, würden fünfjährige Anleihen bei 1,35 Prozent rentieren, sodass ein typisches Portfolio mit der durchschnittlichen Duration (durchschnittliche Kapitalbindungsdauer einer Geldanlage in einem festverzinslichen Wertpapier, A.d.R) von fünf Jahren einen Wertverlust von 5,0 Prozent erleidet. Kein Pappenstiel für ein vermeintlich risikoloses Asset, wie wir meinen!"
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