boerse.ARD.de: Durchschnittlich 90 Prozent der Kapitalanlagen investieren Versicherer in festverzinsliche Wertpapiere. Jetzt fressen sich die niedrigen Zinsen durch das Portfolio. Wie lange kann die Branche das alles noch durchhalten?
Thorsten Wenzel: Die Branche insgesamt kann ein fortgesetztes Niedrigzinsumfeld sicher noch viele Jahre durchhalten. Die gegenwärtig extrem niedrigen Zinsen fressen sich mit erheblicher Zeitverzögerung in die Portfolien der Lebensversicherer, da diese in der Regel sehr langfristig investieren. Die durchschnittliche Nettoverzinsung der Kapitalanlagen lag 2011 noch bei über vier Prozent. Diese Aussage gilt natürlich nur unter der Annahme, dass es nicht zu signifikanten Abschreibungen auf Teile der Portfolios kommt.
boerse.ARD.de: Welche Stellschrauben gibt es, entgegen zu wirken? Erwarten Sie insbesondere die Flucht in schwächere Bonitäten, um wenigstens noch ein bisschen Rendite zu bekommen?
Wenzel: Eine Flucht in schwächere Bonitäten ist für die meisten Versicherer wahrscheinlich nur sehr eingeschränkt möglich. Unter dem künftigen Aufsichtsregime Solvency II müssen die Versicherer hierfür mehr Eigenkapital vorhalten und das ist ein gewichtiger Hinderungsgrund.
boerse.ARD.de: Besonders betroffen ist natürlich die längerfristig ausgelegte Lebensversicherung, die nur noch eine Minimumgarantie von 1,75 Prozent aufweist. Aber auch Rentenversicherungen. Auf was müssen sich die Kunden einstellen?
Wenzel: Die Kunden müssen sich mit Sicherheit auf eine weiter fallende Verzinsung ihrer traditionellen Lebens- und Rentenversicherungsprodukte einstellen. Diesbezüglich gibt es durchaus noch Spielraum denn zuletzt hat die laufende Verzinsung der Policen noch bei immerhin knapp vier Prozent gelegen.
boerse.ARD.de: Gibt es Überlegungen, das Anlagerisiko verstärkt auf den Kunden zu verlagern, zum Beispiel durch fondsgebundene Policen? Anders gefragt, sind produktseitig Verschiebungen weg vom Klassiker Lebensversicherung zu erwarten?
Wenzel: Aufgrund des Niedrigzinsumfelds und weil Garantien mit Eigenkapital hinterlegt werden müssen ist es für die Versicherer natürlich attraktiv das Kapitalanlagerisiko mittels fondsgebundener Produkte auf die Kunden zu verlagern. Allerdings spielen die Kunden und Vertriebe hier nur eingeschränkt mit. Die Kunden wünschen Sicherheit in Form von Garantien und die Vertriebe sind nur recht schwer in Richtung neuer Produkte zu bewegen.
boerse.ARD.de: Welche alternativen Anlagestrategien gibt es und welchen Stellenwert haben diese Investitionen im Gesamtportfolio?
Wenzel:Die Bedeutung der diversen alternativen Anlagen ist gegenwärtig noch sehr gering. Zahlreiche Versicherer haben bekundet, hier einen größeren Teil ihrer Kapitalanlagen investieren zu wollen. Aber das braucht Zeit und wird nicht ausreichen, um die Überschussbeteiligung zu halten.
boerse.ARD.de: Kommen Aktien wieder stärker en vogue, deren Dividenden zuletzt sehr attraktiv waren?
Wenzel: Bedauerlicherweise gibt es hierfür bislang kaum Anzeichen. Hierzu trägt unter anderem das künftige Aufsichtsregime Solvency II erheblich bei, das die Kapitalanlage in Aktien mit hohen Eigenkapitalanforderungen quasi bestraft.
Ich halte das für bedauerlich, weil deutsche Lebensversicherer mit ihren extrem langfristigen Verpflichtungen eigentlich prädestiniert sind, um in Aktien zu investieren. Gerade auch aus Perspektive der Kunden wären deutlich höhere Aktieninvestments der Lebensversicherer unbedingt wünschenswert. Aktien bieten einen gewissen Inflationsschutz und sollten über einen hinreichend langen Zeitraum eine höhere Rendite abwerfen als Zinsträger mit akzeptabler Bonität.
Das Gespräch führte Robert Minde
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