boerse.ARD.de: Herr Kraus, gestern hat die EZB den Leitzins noch einmal, auf 0,75 Prozent, gesenkt. Viele Immobilien-Besitzer oder Interessenten hoffen nun auch auf weiter fallende Bauzinsen. Zu Recht?
Christian Kraus: Leider nicht. Der Leitzins wirkt sich in erster Linie auf kurzfristige Zinsen wie beim Tagesgeld aus. Baugeld-Zinsen werden ja in aller Regel für deutlich längere Zeiträume, etwa zehn bis 15 Jahre festgeschrieben. Dementsprechend ist hier auch eher die Entwicklung lang laufender Anleihen relevant.
boerse.ARD.de: Und dort ist eine steigende Tendenz zu beobachten?
Kraus: Zuletzt ja. Von einer Spekulation darauf, dass die Immobilien-Zinsen noch weiter sinken werden, raten wir folglich ab. Eine weitere Reise nach unten, etwa unter zwei Prozent bei zehnjährigen Laufzeiten bei Baukrediten, ist aus unserer Sicht wenig wahrscheinlich.
boerse.ARD.de: Die Diskussion um Eurobonds wird in der Branche ebenfalls als ein möglicher Faktor für einen langfristigen Zinsanstieg angeführt.
Kraus: Ganz unabhängig von dieser Diskussion erwarten wir für das zweite Halbjahr steigende Langfristzinsen. In Anbetracht der möglichen Belastungen dürfte auch die Bundesrepublik für ihre Anleihen wieder mehr Zinsen bezahlen müssen. Und mögliche Eurobonds werden, wenn man die Diskussion verfolgt, wohl kaum als solider eingestuft.
boerse.ARD.de: Woran kann sich ein bau- oder kaufwilliger Kunde denn in Sachen Bau-Zinsentwicklung orientieren?
Kraus: Zwar kalkulieren die Banken ihre Baugeldkonditionen unterschiedlich und berechnen diese auch nicht immer tagesaktuell. Aber als Hinweis für die Baugeldentwicklung sind zum Beispiel die DGZF-Pfandbriefrenditen der DekaBank ein guter Indikator.
boerse.ARD.de: Wie sehen Ihre Handlungsempfehlungen angesichts des aktuellen Zinsumfeldes aus? Sollte man jetzt beim Immobilienkauf zuschlagen?
Kraus: Das hängt im aktuellen Marktumfeld zunächst einmal davon ab, ob man ein geeignetes Objekt auch wirklich findet oder bereits gefunden hat. Nur wegen der günstigen Zinsen sollte man sich nicht drängen lassen und womöglich die "falsche" Immobilie erwerben. Denn selbst wenn es leicht nach oben geht, werden die Baugeld-Zinsen wohl auch im Herbst 2012 noch immer sehr attraktiv sein. Ist aber das richtige Objekt gefunden, sollte man handeln und sich das aktuelle Zinsniveau sichern.
boerse.ARD.de: Zu welchen Laufzeiten raten Sie bei einem Abschluss?
Kraus: Grundsätzlich so lange wie möglich. Zehn, 15 oder sogar 20 Jahre Laufzeit sind derzeit mit geringen Zinsaufschlägen gegenüber kurzlaufenden Darlehen zu haben. Auch ein Volltilger-Darlehen, bei dem am Ende der Laufzeit das Haus oder die Wohnung abbezahlt ist, bietet sich an. Viele Banken geben dabei aufgrund der entsprechend hohen Tilgungsraten attraktive Zinsrabatte.
boerse.ARD.de: Wie lange im Voraus sollte man eine Anschlussfinanzierung angehen?
Kraus: Bei den aktuellen Zinsen sollte man grundsätzlich prüfen, ob eine Umschuldung eines schon lange laufenden Darlehens Sinn macht. In der Regel ist eine solche Umschuldung nach zehn Jahren Laufzeit ohne Vorfälligkeitsentschädigung möglich. Vielfach sind Anschlussdarlehen innerhalb von zwölf Monaten vor der Zuteilung auch frei von Bereitstellungszinsen. Aber auch wenn die Zinsbindung noch länger läuft, kann ein Forward-Darlehen Sinn machen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bauzinsen auf diesem historisch niedrigen Niveau bleiben oder gar sinken, ist nun einmal gering.
Das Gespräch führte Andreas Braun
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