- Bild: AP
Was die Kirchen leisten
Ein junges katholisches Paar (beide 35 Jahre) zahlt Kirchensteuer. Sie planen ihre Hochzeit. In drei Jahren wollen sie ihr erstes Kind bekommen, zwei Jahre später das zweite. Der Mann verdient 45.000 Euro, die Frau 40.000 Euro. Ihr Gehalt steigt um zwei Prozent pro Jahr. Insgesamt zahlen sie bis an ihr Lebensende 70 861 Euro Kirchensteuer. Die Rechnung geht davon aus, dass die aktuellen Steuerregeln dauerhaft gelten und im Ruhestand keine Kirchensteuer anfällt.
Gesamtkosten Steuer:
70 861 Euro
- Bild: dpa
Als erstes planen die beiden ihre Hochzeit. Sie führen ein mehrstündiges Gespräch mit dem Pfarrer, der bei der Trauung eine persönliche Predigt hält. Der Organist spielt ihre Musik. Nach einer Umfrage der WirtschaftsWoche unter fünf freien Theologen und Festrednern aus dem ganzen Bundesgebiet hätten diese für eine alternative Hochzeit inklusive Vorbereitung im Durchschnitt 730 Euro berechnet. Mit der Miete von Kirche oder Saal und Musik hätte das Paar für die alternative Feier 1000 Euro gezahlt. Ihr Glück: Der Treueschwur hält. Die Hochzeitskosten wären also nur einmal im Leben angefallen.
Leistung: 1000 Euro
- Bild: dapd
Wenige Jahre später lassen die beiden ihre Kinder taufen. Auch die Taufe findet in der Ortskirche statt. Für alternative Willkommensfeiern hätten die freien Theologen und Festredner durchschnittlich 368 Euro genommen. Findet die Feier zum Beispiel im Garten statt und wird nur ein Musiker engagiert, müssten sie für eine solche Feier 500 Euro einplanen. Bei zwei Kindern sind die Taufen also 1000 Euro wert.
Leistung: 1000 Euro
- Bild: dpa
An Weihnachten lieben die Kinder das Krippenspiel. Zwar fragt der Pfarrer nicht nach der Mitgliedschaft, aber für die Familie ist das Ehrensache. Würden sie stattdessen in die Oper gehen, zum Beispiel in Hänsel und Gretel, würde das die Familie jedes Jahr 50 Euro kosten. In den ersten zehn Jahren mit kleinen Kindern sparen sie also 500 Euro.
Leistung: 500 Euro
- Bild: dpa
Dank des kurzen Drahts zum Pfarrer bekommt das Paar für die Kinder einen Platz im kirchlichen Kindergarten. Die Gebühren gleichen aber denen eines städtischen Kindergartens, das Paar hat einen Vorteil, spart aber kein Geld.
Leistung: 0 Euro
- Bild: dapd
Später schicken die Eltern ihre Kinder auf ein kirchliches Gymnasium, der Schulplatz ist ihnen sicher. Eine freie Privatschule würde 400 Euro im Monat kosten, bei der kirchlichen fallen nur 80 Euro an. Zwar können Eltern die Kosten zu 30 Prozent von der Steuer absetzen. Bei zwei Kindern und acht Jahren Schulzeit sparen sie netto trotzdem rund 56.947 Euro.
Leistung: 56.947 Euro
- Bild: dpa
Die Kinder entscheiden sich für eine Firmung oder Konfirmation.
Als Fest der persönlichen Reife entscheiden sich viele nicht gläubige Jugendliche für ein alternatives Ritual. Vor allem in Ostdeutschland ist die Jugendweihe bekannt. Pro Kind fallen dafür etwa 100 Euro an, bei zwei Kindern also 200 Euro.Leistung: 200 Euro
Je länger die Ehe dauert, desto mehr freut sich das Paar über die persönlichen Gespräche mit ihrem Pfarrer. Alle paar Jahre gehen beide zur Beichte. In ihren Augen ersetzen Gottesdienste, Gespräche und Beichte eine jährliche Sitzung beim Psychotherapeuten, die pro Stunde ungefähr 100 Euro kostet. Bis zum 85. Lebensjahr sparen sie zu zweit so 10.000 Euro.
Leistung: 10.000 Euro
- Bild: AP
Als kulturell interessierte Menschen schätzt das Paar die Kirchenmusik. Aufwendige Orgelstücke, Chorgesang oder Instrumentalmusik bekommen sie in der Kirche zwar nicht jede Woche, aber zu besonderen Anlässen geboten. Opernkarten für die Matthäus-Passion von Bach würden die beiden 100 Euro kosten. Ein zusätzlicher Opernbesuch alle zwei Jahre würde sie bis zum Lebensende insgesamt 5000 Euro kosten.
Leistung: 5.000 Euro
- Bild: dapd
Am Ende ihres Lebenswegs trauert die Familie beim Begräbnis. Der Pfarrer begleitet sie und spricht tröstende Worte am Grab. Die freien Theologen und Trauerredner würden durchschnittlich 315 Euro verlangen. Die Angehörigen werden bei zwei Begräbnissen also um 630 Euro entlastet.
Gesamtleistung der Kirche
75 277 Euro
Wirtschaftswoche: Herr Reichold, das Bundesarbeitsgericht hat der Gewerkschaft ein Streikrecht bei der Diakonie zugebilligt. Ist der Sonderstatus der Kirchen im Arbeitsrecht damit Geschichte?
Hermann Reichold: Nein, das zeigt eher, dass die schnellste Schlagzeile nicht immer die richtige sein muss, gerade bei Gerichtsentscheidungen.
Wieso?
Die zentrale Aussage des Urteilsspruchs ist doch, dass der dritte Weg, also der Sonderweg der Kirchen im Arbeitsrecht, grundsätzlich gestärkt wird. Die Richter sagen ganz explizit: Ja, die Kirchen dürfen auch weiterhin ihre inneren Angelegenheiten selbst regeln.
Die christlichen Kirchen als Arbeitgeber
Beschäftigtenzahl
Die christlichen Kirchen sind mit rund 1,3 Millionen Beschäftigten nach dem öffentlichen Dienst der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland.
Evangelische Kirche
Sie hat nach den jüngsten veröffentlichten Zahlen (Stand 2010) rund 222.700 Beschäftigte, davon sind rund 21.488 Theologen. Hinzu kommen weitere rund 452.600 Beschäftigte, die für den evangelischen Wohlfahrtsverband Diakonie arbeiten, vorwiegend in Pflege- und Erziehungsberufen.
Katholische Kirche
Die katholische Kirche beschäftigt in Deutschland nach eigenen Angaben hauptamtlich rund 650.000 Menschen, davon 150.000 direkt bei der Kirche. Darunter sind rund 14.800 Priester. Beim katholischen Wohlfahrtsverband Caritas arbeiten mehr als 500.000 Menschen, unter anderem in Diensten der Gesundheitshilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Altenhilfe und Behindertenhilfe.
Vor allem aber sagen sie doch: Die im konkreten Fall klagende Diakonie kann die Warnstreiks ihrer Mitarbeiter nicht verbieten.
Wer daraus auf alle kirchlichen Einrichtungen schließt, macht dennoch einen Fehler. Denn die spezielle Diakonie bediente sich der Sonderkonstruktion, dass sie aus mehreren Mitbestimmungsarten jeweils die für sie günstigste herausgepickt hat. Das hat das Gericht untersagt. In der zentralen Passage aber argumentiert es anders: Der dritte Weg ist zulässig, es müssen bloß einige Voraussetzungen in der Ausgestaltung erfüllt sein.
Die da wären?
Die Mitarbeitervertreter müssen beteiligt werden und die Verhandlungsergebnisse müssen bindend sein und in Arbeitsverträge einfließen.
Es bleibt also alles beim Alten?
Nicht ganz. Manche Einzelkonstruktionen müssen geändert werden, für die Mitarbeiter ergibt sich zudem eine größere Rechtssicherheit in Bezug auf die konkreten Vereinbarungen. Unklar ist noch, inwiefern die Gewerkschaften institutionell am Verhandlungsprozess beteiligt werden müssen. Da muss man die konkrete Urteilsbegründung abwarten, aber auch hier deuten einige Passagen der ersten Erklärung eher darauf hin, dass die Gewerkschaften zurückstecken müssen.
Alles in allem also eine Niederlage für die Gewerkschaften?
Das muss man wohl so sehen, auch die spontanen Reaktionen der Gewerkschaftsvertreter im Gericht sind ja entsprechend sparsam ausgefallen. Schließlich hatten sie gehofft, dass der dritte Weg ganz wegfällt oder auf bestimmte Kernbereiche kirchlicher Arbeit beschränkt wird. So hatte noch die Vorinstanz argumentiert, jetzt ist keine Rede mehr davon.
Professor Hermann Reichold leitet die Forschungsstelle „Kirchliches Arbeitsrecht“ an der Universität Tübingen und ist selbst als Schlichter in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen innerhalb der evangelischen Kirche tätig.