Herr Abelshauser, den Ökonomen wird derzeit oft vorgeworfen, mit ihren mathematischen Methoden an der Realität vorbei zu forschen. Die gegenwärtige Krise hat kaum einer vorhergesehen. Schlägt jetzt die Stunde von Wirtschaftshistorikern wie Ihnen?
Es gibt dramatische Unterschiede zwischen den Ökonomen, deren Horizont nur drei Monate zurückreicht, und den anderen, die gewohnt sind, über gegenwärtige Bedingungen in längerer historischer Perspektive zu urteilen. Die meisten Entscheidungen sind nämlich durch frühere Entscheidungen schon weitgehend festgelegt.
Sie meinen das, was Historiker Pfadabhängigkeit nennen.
Ja. Und die beachten viele Ökonomen nicht. Mit ihren Methoden, die ich als Denkhilfen durchaus respektiere, könnten sie besser das Wetter vorhersagen als die wirtschaftliche Entwicklung. Denn dazu gehören nicht nur statistische und mathematische Regelmäßigkeiten. Da gehören auch Denk- und Handlungsweisen der Menschen dazu, Spielregeln und historisch gewachsene Organisationsweisen der Wirtschaft, die sich von einem Land zum anderen deutlich unterscheiden. Das kann man mit herkömmlichen ökonomischen Modellen nicht erfassen. Deswegen können wir Wirtschaftshistoriker – sofern wir auch Ökonomen sind – Krisen wie die aktuelle besser analysieren.
Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.
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Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten.
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Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt.
Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen.
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Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen.
Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität.
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Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien.
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Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft.
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Amartya Sen wurde 1933 in der Universitätsstadt Santiniketan, Indien, geboren. Er ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University in Cambridge (Massachusetts). Der Ökonom erhielt 1998 den Wirtschaftsnobelpreis für seine Arbeiten zur Wohlfahrtsökonomie und wirtschaftlichen Entwicklung. Er veröffentlichte im Laufe seiner Karriere mehr als Hundert Forschungsschriften und ist Inhaber rund 90 Ehrendoktortiteln, zum Beispiel von der Universität Toronto. Ein zentraler Gedanke in seinem Werk ist die Idee der Freiheit, er betrachtet diese als die Basis des menschlichen Daseins, die jedes seiner Themen, wie Entwicklung, Armut, Hunger, Markt und Moral, durchdringt. Seine Thesen als liberaler, linker Theoretiker sind nicht unumstritten, so wird beispielsweise sein Begriff von Freiheit und Markt weder von Marktdogmatikern noch von deren Gegnern geteilt.
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In seiner Heimat ist die Arbeit von Friedrich List (1789 - 18 46) fast vergessen. Die letzte Neuauflage von Lists Hauptwerk liegt 80 Jahre zurück. Er ist der gedankliche Vater des Protektionismus. In Deutschland gilt sein Werk als überholt, doch es bietet theoretisches Rüstzeug, wie der Staat die Wirtschaftsentwicklung fördern kann - und wann er besser die Hände davon lassen sollte. In vielen Schwellenländern erfreut sich die Lehre von List daher großer Popularität.
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Der britische Ökonom David Ricardo (1772 – 1823) machte an der Londoner Börse gute Gewinne und konnte sich Dank seines eigenen Vermögens ganz den ökonomischen Studien widmen. Er machte sich mit dem „Kornmodell“ einen Namen, das auf dem Paper Essay on the Influence of a low Price of Corn on the Profits of Stock basiert, in dem er die freie Korneinfuhr empfiehlt. Nach ihm wurde auch die Ricardianische Äquivalenz benannt – ein Konzept, das sich mit der Wirkung von Steuersenkungen in der Gegenwart beschäftigt, die mit höheren Steuern in der Zukunft refinanziert werden sollen. Auf ihn geht auch die Theorie der komparativen Kostenvorteile zurück, ein Kernstück der Außenhandelstheorie und wesentliche Erkenntnis über die relativen Kostenvorteile internationaler Arbeitsteilung.
- Bild: Julia Zimmermann für Wirtschaftswoche
Im Jahr 1987 erhielt der US-amerikanische Ökonom Robert Solow (*1924) den Wirtschafts-Nobelpreis für seine Forschungen zur neoklassischen Wachstumstheorie. Solow entwickelte das sogenannte Solow-Modell, das im Gegensatz zu Keynes Auffassung die Nachfrageentwicklung nicht als bestimmende Determinante des Wirtschaftswachstums ansieht. Sein Solow-Modell erklärt das langfristiges Wirtschaftswachstum in einer Volkswirtschaft nur durch technischen Fortschritt. Solow ist Emeritus-Professor am Massachusetts Institute of Technology.
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Ist es frustrierend, dass Politiker und Journalisten trotzdem immer auf die Konjunkturforscher hören und nicht auf die Historiker?
Ein wenig. Aber ich kann verstehen, dass die Politik lieber jemandem zuhört, der behauptet, ein Modell für die wirtschaftliche Zukunft zu haben. Es ist ja auch durchaus was dran an der Konjunkturforschung. In normalen Zeiten kann man mit solchen Modellen schon eine Menge anfangen.
Aber wenn es wirklich darauf ankommt, funktionieren die Prognosemethoden nicht.
Nicht einmal in normalen konjunkturellen Abläufen. Die entscheidende Frage, wo die Wendepunkte von Auf- und Abschwung liegen werden, ist bisher selten richtig beantwortet worden.
Kultur und Geschichte kommen in den Formeln der Ökonomen nicht vor. In Ihrem neuen Buch "Kulturen der Weltwirtschaft" sagen Sie, dass dies aber ausschlaggebend sei für Wettbewerbsvorteile.
Grundsätzlich unterscheide ich drei Ebenen. Die erste ist die der individuellen Mentalitäten. Das war im 19. Jahrhundert der große Renner: Der Grieche ist faul, der Deutsche fleißig, der Spanier stolz. An Stammtischen und auch an manchem Redaktionstisch ist das heute noch ein Thema. Aber dieser Blick auf wirtschaftliche Sekundärtugenden ist wenig hilfreich. Zumindest in Europa sind die individuellen Mentalitäten nämlich relativ ähnlich. Der italienische Arbeiter ist nach meiner Erfahrung nicht weniger fleißig als der deutsche, eher im Gegenteil. Produktiv und innovativ kann ein Mensch ohnehin nur in einer funktionierenden Gesellschaft werden. Das führt mich zur zweiten Ebene, nämlich den kollektiven Mentalitäten: Gibt es einen funktionierenden Staat? Werden Mechanismen der Inflationsbegrenzung akzeptiert? Da gibt es große Unterschiede in Europa, die sich aus der historisch gewachsenen Organisation von Staat und Gesellschaft erklären.
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