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Wirtschaftskulturen: Unterschiede machen Europa stark

von Ferdinand Knauß

Europas Krise versteht man nur aus geschichtlicher Perspektive. Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser über die Prognoseschwäche der Ökonomen, die Kulturen der Weltwirtschaft und eine Alternative zur Währungsunion.

Werner Abelshauser, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bielefeld, kritisiert die Geschichtsvergessenheit von Politikern und Ökonomen.
Werner Abelshauser, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bielefeld, kritisiert die Geschichtsvergessenheit von Politikern und Ökonomen.

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Herr Abelshauser, den Ökonomen wird derzeit oft vorgeworfen, mit ihren mathematischen Methoden an der Realität vorbei zu forschen. Die gegenwärtige Krise hat kaum einer vorhergesehen. Schlägt jetzt die Stunde von Wirtschaftshistorikern wie Ihnen?

Es gibt dramatische Unterschiede zwischen den Ökonomen, deren Horizont nur drei Monate zurückreicht, und den anderen, die gewohnt sind, über gegenwärtige Bedingungen in längerer historischer Perspektive zu urteilen. Die meisten Entscheidungen sind nämlich durch frühere Entscheidungen schon weitgehend festgelegt.

Sie meinen das, was Historiker Pfadabhängigkeit nennen.

Ja. Und die beachten viele Ökonomen nicht. Mit ihren Methoden, die ich als Denkhilfen durchaus respektiere, könnten sie besser das Wetter vorhersagen als die wirtschaftliche Entwicklung. Denn dazu gehören nicht nur statistische und mathematische Regelmäßigkeiten. Da gehören auch Denk- und Handlungsweisen der Menschen dazu, Spielregeln und historisch gewachsene Organisationsweisen der Wirtschaft, die sich von einem Land zum anderen deutlich unterscheiden. Das kann man mit herkömmlichen ökonomischen Modellen nicht erfassen. Deswegen können wir Wirtschaftshistoriker – sofern wir auch Ökonomen sind – Krisen wie die aktuelle besser analysieren.

Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.

Ist es frustrierend, dass Politiker und Journalisten trotzdem immer auf die Konjunkturforscher hören und nicht auf die Historiker?

Ein wenig. Aber ich kann verstehen, dass die Politik lieber jemandem zuhört, der behauptet, ein Modell für die wirtschaftliche Zukunft zu haben. Es ist ja auch durchaus was dran an der Konjunkturforschung. In normalen Zeiten kann man mit solchen Modellen schon eine Menge anfangen.

Aber wenn es wirklich darauf ankommt, funktionieren die Prognosemethoden nicht.

Nicht einmal in normalen konjunkturellen Abläufen. Die entscheidende Frage, wo die Wendepunkte von Auf- und Abschwung liegen werden, ist bisher selten richtig beantwortet worden.

Werner Abelshauser / David Gilgen / Andreas Leutzsch (Hg.) Kulturen der Weltwirtschaft Vandenhoeck & Ruprecht 2012
Werner Abelshauser / David Gilgen / Andreas Leutzsch (Hg.) Kulturen der Weltwirtschaft Vandenhoeck & Ruprecht 2012

Kultur und Geschichte kommen in den Formeln der Ökonomen nicht vor. In Ihrem neuen Buch "Kulturen der Weltwirtschaft" sagen Sie, dass dies aber ausschlaggebend sei für Wettbewerbsvorteile.

Grundsätzlich unterscheide ich drei Ebenen. Die erste ist die der individuellen Mentalitäten. Das war im 19. Jahrhundert der große Renner: Der Grieche ist faul, der Deutsche fleißig, der Spanier stolz. An Stammtischen und auch an manchem Redaktionstisch ist das heute noch ein Thema. Aber dieser Blick auf wirtschaftliche Sekundärtugenden ist wenig hilfreich. Zumindest in Europa sind die individuellen Mentalitäten nämlich relativ ähnlich. Der italienische Arbeiter ist nach meiner Erfahrung nicht weniger fleißig als der deutsche, eher im Gegenteil. Produktiv und innovativ kann ein Mensch ohnehin nur in einer funktionierenden Gesellschaft werden. Das führt mich zur zweiten Ebene, nämlich den kollektiven Mentalitäten: Gibt es einen funktionierenden Staat? Werden Mechanismen der Inflationsbegrenzung akzeptiert? Da gibt es große Unterschiede in Europa, die sich aus der historisch gewachsenen Organisation von Staat und Gesellschaft erklären.

5 KommentareAlle Kommentare lesen
  • 23.08.2012, 17:28 UhrProEuro

    Der Mann gibt einem zu denken. Allerdings glaube ich, dass der wiederum zu wenig auf Ökonomen und Politik hört.

  • 23.08.2012, 09:07 UhrBashi49

    Wieder eine der vernünftigen Stimmen von jemandem, der den Durchblick hat. Es ist ein Elend, daß unsere Politiker dank Tunnelblick mit ihren Entscheidungen völlig danebenliegen. Vielen Dank an die WiWo für diesen Beitrag.

  • 23.08.2012, 06:21 UhrWegweiser

    Es hat genug kompetente Fachleute gegeben, die ausdrücklich vor der Errichtung dieser gemeinsamen Währungsunion gewarnt und die damit verbundenen Entwicklungen klar vorhergesagt haben.

    Wilhelm Hankel und seine Mitstreiter hatten bereits im Jahre 1998 erfolglos gegen diese Währungsunion geklagt und auch in ihrem Buch DIE EURO KLAGE ihre Motive und ihre Beweggründe dazu dargelegt. Alle beschriebenen Entwicklungen sind eingetreten. Man sah in politischen und auch in vielen ökonomischen Kreisen großzügig über diese Fehlentwicklungen hin, da man dieses Projekt niemals ernsthaft öffentlich diskutieren wollte.

    Einige Literaturempfehlungen dazu:
    Wilhelm Hankel, Die Euro Lüge, 3. Auflage, Signum Verlag
    Bruno Bandulet, Die letzten Jahre des Euro, Kopp Verlag
    Karl Albrecht Schachtschneider, Die Rechtswidrigkeit der Eurorettungspolitik, erschienen im Kopp Verlag
    Die heutigen und früheren Mehrfachkläger in Karlsruhe, Das Euro Abenteuer geht zu Ende, erschienen im Kopp Verlag

    Man kann hier diese Entwicklungen, die Verantwortlichkeiten und die Motivationen genau und analytisch nachlesen und nachvollziehen.

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