Die Antworten sind beängstigend: Alles sei bloß „ein Test“. Oder: „Statistik. That’s all.“ So fertigen sonst Herrscher ihre aufgeregten Untertanen ab: Macht euch keine Sorgen. Ihr braucht nichts zu wissen. Wer fragt, der stört.
Genau dann aber muss man sich Sorgen machen. Große Sorgen.
Ein Test. Statistik. Das waren Reaktionen eines Mitarbeiters von Facebook gegenüber kritischen Mitgliedern des Sozialen Netzwerks. „Blockwart 2.0“ und „stasimäßig, das Ganze“ hatten sie geschimpft, weil Facebook sie über ihre Bekannten ausfragte. Den Computersystemen von Facebook waren zuvor nämlich etliche Nutzer aufgefallen, die anscheinend Pseudonyme statt ihrer richtigen Namen verwendeten. Nun entspricht es aber nicht der Geschäftsphilosophie des Hauses, dass seine Mitglieder Geheimnisse haben. Also ließ Facebook vor wenigen Wochen seine Software den Bekanntenkreis der Verdächtigen ausfindig machen und dort nachfragen: „Ist dies der wahre Name deines Freundes?“
Ein Test? Was für ein Test? Ob Menschen bereitwillig ihre Freunde verraten, wenn eine Software sie dazu auffordert?
Facebooks Schnüffelei ist nur ein Fall von vielen, in denen führende Konzerne den Internetnutzern mit fragwürdigen Methoden ihre Regeln aufzwingen. Etwa zeitgleich verweigerte Apple die Freigabe für ein satirisches Spiel, das Frederic Jacobs aus San Francisco für das iPhone programmiert hat. Es heißt Angry Syrians und kritisiert in bunter Comic-Optik das brutale Regime von Präsident Baschar al-Assad. Warum es bei Apple nicht erscheinen durfte? Weil es angeblich „diffamierend oder beleidigend“ gewesen sei, berichtet der Programmierer.
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Muy interesante
Sex sells, egal ob es sich um die Seite-1-Mädchen von der Bild-Zeitung handelt oder um diesen unbekleideten jungen Mann. Die spanische Wissenschaftszeitung Muy interesante von G+J machte mit diesem Titelbild auf, allerdings waren beim Ursprungsmotiv keine großen Buchstaben unterhalb der Bauchnabelregion zu sehen. Laut Meedia hatte Apple die Zeitschrift nicht für sein Zeitschriftenregal Newsstand zugelassen und erst als die Buchstaben das Bild etwas züchtiger machten, wurde die Wissenschaftszeitschrift bei Apple zugelassen.
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Emma mit nackten Brüsten
Dass die Zeitschrift Emma mit den äußerlichen Reizen einer Frau Männer anlocken will, kann hier einfach mal ausgeschlossen werden. Doch eine gewisse Provokation stellt das aktuelle Titelbild dar. "Die Frau ist nicht zu kaufen", lautet die Aussage der eigentlich barbusigen Blondine auf dem Titelblatt, das auch auf der Facebook-Seite des Magazins zu sehen war.
Pornografische Inhalte seien bei dem Sozialen Netzwerk nicht zugelassen, hieß es darauf hin allerdings und daher hatte Facebook das Cover der aktuellen Ausgabe vorübergehend entfernt. Kompromiss: Das Cover hat in der Facebook-Version einen Balken vor die nackten Brüste bekommen. Auf der Homepage der Emma ist es weiter im Original zu sehen.
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Prüde Fotoregeln
Facebook bietet Nutzern auf der ganzen Welt eine Plattform zum Kommunizieren. Mitglieder können Fotos hochladen - egal ob Urlaubsschnappschüsse oder Profilbilder. Wehe aber, das Foto zeigt eine Mutter, die ihr Baby stillt. da versteht das US-Unternehmen keinen Spaß. Solch "anstößige" Fotos hat Facebook nun aus den Profilen der entsprechenden Mitglieder gelöscht oder gesperrt. Auf Facebook hat sich nun eine Gruppe namens "Breastfeeding is not obscene!" zusammengetan - über 3 700 Mitglieder soll sie mittlerweile haben.
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Anstößiger Stinkefinger
Der Stinkefinger von Stefan Effenberg ist mittlerweile legendär, doch wenn ein Nutzer ein Bild von sich mit einem ausgestreckten Mittelfinger bei Google + hochlädt, protestiert die US-Suchmaschine. MG Siegler ist das so passiert. Sein Profilbild wurde von Google gelöschte, allerdings ohne eine Begründuhg. Darauf hin hat der Blogger das Foto erneut hochgeladen, auf seiner eigenen Webseite berichtet der Amerikaner von der Reaktion des US-Konzerns. In einer E-Mail habe ein Google-Mitarbeiter erklärt, dass es sich dabei um einen Inhalt mit "anstößigem Inhalt" handele. Nun ziert das Profil von MG Siegler das selbe Foto, das er jedoch mit einem Google+-Logo so verändert hat, dass der Mittelfinger nur noch zur Hälfte sichtbar ist.
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Papiertüte über dem Kopf
Nicht nur Probleme mit zuviel nackter Haut scheinen die US-Unternehmen zu haben. Auch ein Spiel, bei dem verschiedene Politiker-Figuren im weißen Haus auf einem Trampolin springen, schaffte den Weg in den Apple-Store nicht auf Anhieb. "Obama Trampoline" hatte der Hersteller sein Spiel genannt - nach der Umwandlung mit den Papiertüten, die dem Spiel die politische Note nehmen sollen, heißt es schlicht "Party Trampoline" und ist auch wieder im Apple-Store erhältlich.
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Süßigkeiten statt Drogen
Sex - drugs - und Rock'n Roll: All das zieht beim Publikum. Allerdings nicht beim US-Konzern Apple. Virtuelle Drogen kommen den Verantwortlichen da nicht in den Store, deshalb musste das Spiel "Dope Wars" draußen bleiben. Nun heißt das Spiel "Candy Wars" und darf heruntergeladen werden.
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Me so holy
Auch nach ethischen Gesichtspunkten geht der US-Konzern Apple vor, wenn es um die Zensur der Spiele im Hauseigenen Apple-Store geht. Wegen der "sittlich anstößigen" Anwendung "Me so holy", bekamen die Programmierer der Software eine Abmahnung. Anwender konnten sich dabei für eine Religion entscheiden und dann ihr Foto einfügen - das so neu entstandene Heiligenbildnis konnte als Foto verschickt oder ins Internet hochgeladen werden.
Erotische Bildergalerie
Als praxisfern hatte der Stern das Handeln von Apple bezeichnet, als der US-Konzern die Anwendung des Magazins löschte. Grund dafür war laut Apple eine erotische Bildergalerie im November 2009. Zwar erschien die App später wieder im "App-Store", doch dies erst, nachdem es sehr viel öffentliche Aufmerksamkeit gegeben hatte. Gruner+Jahr hatte bemängelt, dass das App ohne Ankündigung aus dem Store genommen worden war.
Ein Ort der Freiheit
Apple unterdrückt eine politische Meinungsäußerung. Wie oft wohl noch?
Oder Amazon: nahm Anfang Juni das Schwarzbuch WWF vorübergehend aus dem Programm. Der Autor Wilfried Huismann warf darin der Umweltorganisation große Nähe zur Industrie vor, ein juristischer Streit zeichnete sich ab. Amazon verbannte das Buch, noch bevor die Richter die Vorwürfe beurteilten. Aber bedeutet das angesichts der Marktmacht von Amazon nicht, dass faktisch ein einzelner Konzern im Wesentlichen entscheidet, was gelesen wird?
Oder Google: filtert die Ergebnisse seiner Suchmaschine weltweit mal nach politischen Vorgaben, mal nach unterstellten persönlichen Interessen der Nutzer. Jedenfalls nicht immer so neutral, wie es das schlichte Weiß der Internetseite suggeriert.
Was passiert hier?
Das Internet war mal ein Ort der Freiheit. Wo man unbekannte Welten entdecken und sich dabei auch schon mal verlaufen konnte. Ein Ort, anarchisch zwar und wild. Aber frei.
Heute gibt es Apple, Facebook, Google und Amazon. Vier amerikanische Konzerne beherrschen das Internet und zählen zusammen einen signifikanten Anteil der Weltbevölkerung zu ihren Kunden. Sie vereinen rund 80 Prozent des grenzüberschreitenden Datenverkehrs auf sich. 40 Prozent der Zeit, die Menschen online verbringen, vereinen die Seiten der großen vier auf sich. Facebook hat zehnmal mehr Nutzer als Deutschland Einwohner. Google beantwortet eine Milliarde Suchanfragen pro Tag.
- Seite 1: Vier Sheriffs zensieren die Welt
- Seite 2: Kontrollierter Zugang zum Wissen der Welt
- Seite 3: Apple zensiert Musik, Facebook überwacht Nutzer
- Seite 4: Algorithmen entscheiden über Informationen
- Seite 5: Konzerne als Gehilfen der Regierung
- Seite 6: Was wird aus dem Versprechen des Informationszeitalters?