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Länderanalyse: Flaches Land, hoher Schuldenberg

von Tim Rahmann und Tim Rahmann Quelle: Handelsblatt Online

Wenn die Niedersachsen am 20. Januar wählen, geht es auch darum, wem die Bürger zutrauen, die hohen Schulden und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen – und wer die Hoffnung auf ein besseres Niedersachsen am besten verkauft.

Stephan Weil (links) gegen David McAllister: Bei der Landtagswahl in Niedersachsen geht es nicht nur um die Politiker, sondern auch um die Hoffnungen der Bürger. Quelle: dpa
Stephan Weil (links) gegen David McAllister: Bei der Landtagswahl in Niedersachsen geht es nicht nur um die Politiker, sondern auch um die Hoffnungen der Bürger. Quelle: dpa

Am Jade-Weser-Port herrscht Ebbe. Tideunabhängig können auch größte Containerschiffe den neuen Tiefwasserhafen an der Nordseeküste anlaufen. Doch die Reedereien meiden nahezu geschlossen das Milliardenprojekt. Die vier Containerbrücken, die 80 Meter hoch bis in die Nebelwolken hineinragen, stehen still. Statt Fracht abzuladen und auf die Güterzüge Richtung Sande zu transportieren, spielen die Kranführer in der Kantine Skat.

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Keine zehn Kilometer vom Jade-Weser-Port entfernt, in der Stadthalle Wilhelmshaven, preist der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister nichtsdestotrotz den Tiefwasserhafen. „Wir haben neben Bremerhaven und Hamburg ein drittes Tor zur Welt geschaffen“, ruft der CDU-Politiker. Niedersachsen und Deutschland haben bewiesen, dass man große Infrastrukturprojekte umsetzen kann – pünktlich und im Kostenrahmen. „Das unterscheidet uns von anderen!“ Es ist Wahlkampf in Niedersachsen, für schlechte Nachrichten ist kein Platz. Am 20. Januar steht die Landtagswahl an. Sie hat Signalwirkung für den Bund.

Schaffen nur CDU, SPD und Grüne – wie derzeit die Umfragen vorhersagen – den Einzug in den Landtag, verliert die Union eine weitere Staatskanzlei an die politischen Gegner. Die CDU/CSU würde dann nur noch in drei westdeutschen Bundesländern (Bayern, Saarland, Hessen) den Landeschef stellen, eine Mehrheit im Bundesrat geriete endgültig aus dem Blickfeld. SPD und Grüne würden neue Hoffnung gewinnen, auch bei den Bundestagswahlen zu triumphieren, die FDP bekäme wohl einen neuen Vorsitzenden.

Wie aber ist die Lage in Niedersachsen so kurz vor der Wahl? Gehört das flächenmäßig zweitgrößte deutsche Flächenland zu den Zugpferden – oder ist das Wappentier längt kein Symbol mehr für den Zustand zwischen Hannover und Papenburg, zwischen Ostfriesland und Harz?

Silke Heider* ist hin- und hergerissen. Die Wilhelmshavenerin ist derzeit arbeitslos, obwohl sie seit der Eröffnung des Jade-Weser-Ports wieder in Lohn und Brot stehen sollte. Im vergangenen Jahr hat Heider auf Anraten der örtlichen Arbeitsagentur eine Umschulung zur Hafenkranführerin gemacht.

„Dank des Jade-Weser-Portes hatte ich wieder eine Perspektive“, sagt sie. Doch ihre Anstellung wurde immer wieder verschoben, da die bereits engagierten Kranführer nicht annähernd ausgelastet sind. Zum 1. Februar soll sie nun anfangen. Sie hofft, dass es so kommt. Glauben tut sie es nicht.

6,4 Prozent der Menschen im arbeitsfähigen Alter sind derzeit in Niedersachsen ohne Job. Das sind 0,6 Prozentpunkte mehr als im Durchschnitt der elf westdeutschen Bundesländer. In Wilhelmshaven liegt die Arbeitslosenquote bei 12,0 Prozent.

Gerade bei den Jüngeren gilt: Wer kann, zieht weg. Mehr als drei Viertel der Wilhelmshavener, die um die Jahrtausendwende herum ihr Abitur in der Jadestadt gemacht haben, sind längt in einer Stadt, oft in einem anderen Bundesland, wohnhaft geworden.


Gewinner der Bundeswehrreform und der Energiewende

„Niedersachsen hatte es in den letzten Jahren nicht immer leicht. Der Strukturwandel dauert an, aber es gibt positive Signale“, sagt Landeschef McAllister. So sei das Land ein Gewinner der Bundeswehrreform. Auch von der Energiewende könne der Flächenstaat profitieren. „Wir sind das führende Land der Erneuerbaren Energien. Niedersachsen handelt, während die anderen Länder zaudern.“

In der Tat findet zwischen Emden und Cuxhaven eine zweite Industrialisierungswelle statt – an Land und auf Wasser. Seit 2009 ist mit dem Offshore-Windpark Borkum West vor der Nordseeküste der erste Komplex dieser Art in Deutschland in Betrieb, weitere sechs Windparks in der Nordsee sind aktuell in Bau. In Aurich, Ostfriesland, beschäftigt Enercon – der größte deutsche Hersteller von Windkraftanlagen – mehr als 3000 Menschen.

Dank dieser Entwicklung und der in Niedersachsen sehr präsenten Autoindustrie wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2011 um 4,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Nur Berlin wuchs im gleichen Zeitraum noch kräftiger (4,5 Prozent).

Wahr ist aber auch, dass Niedersachsen in punkto Wirtschaftskraft den anderen Bundesländern noch immer hinterhinkt. Das BIP je Einwohner beläuft sich auf 28.306 Euro. Im Bundesschnitt sind es 31.440 Euro. Niedersachsen liegt hier nur auf Rang 10 - obwohl das Land für die Stärkung seiner Infrastruktur und Wirtschaftskraft seit 1990 aus dem Länderfinanzausgleich rund zehn Milliarden Euro bekommen hat.

Auch bei der Ausbildung hapert es. Zwar erklärt die Landesregierung, dass es heute „30 mal mehr Ganztagsschulen gibt“ als zu der Zeit, an der die SPD noch an der Macht war. Dennoch sind die Klassen überdurchschnittlich groß – und der Anteil der Schüler, die Abitur machen, liegt unter dem Bundesdurchschnitt. Das zeigen die Daten des Bundesländerrankings von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und der WirtschaftsWoche.

Größte Herausforderung des Landes bleibt aber die Bekämpfung des hohen Schuldenberges.

Sekündlich steigen die Verbindlichkeiten des Landes um 20 Euro. Aktuell beläuft sich der Schuldenberg auf 59,47 Milliarden Euro. Das sind 7500 Euro pro Kopf. „Der Kampf gegen die Schulden ist eine Zukunftsfrage“, sagt David McAllister, der ab 2017 keine neuen Verbindlichkeiten mehr anhäufen will. „Es geht darum, wie viel Geld wir auch morgen und übermorgen in Bildung und Forschung stecken können.“ Im Vergleich zur Vorgänger-Regierung habe man die Aufnahme neuer Schulden drastisch zurückgefahren.

„Das stimmt“, bestätigt Bernhard Zentgraf, Diplom-Volkswirt und Vorstandsvorsitzender des Bunds der Steuerzahler Niedersachsen und Bremen e. V. „Dass weniger neue Schulden aufgenommen werden, liegt aber nicht daran, dass das Land so gut spart, sondern weil sich die Einnahmen so gut entwickelt haben. Niedersachsen ist gut durch die Krise gekommen. Die Landesregierung hatte im vergangenen Jahr 1,7 bis 1,8 Milliarden Euro mehr zur Verfügung als noch 2011.“


Schuldenorgien unter Rot-Grün

Bleiben die Einnahmen ähnlich hoch, müsse es schon 2015 möglich sein, einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren, findet Zentgraf. Umso bedenklicher, dass sich Rot-Grün das wenig ambitionierte Ziel gesetzt hat, erst 2020 keine neuen Schulden mehr aufnehmen zu wollen.

Die Sozialdemokraten festigen so ihren wenig schmeichelhaften Ruf als Schuldenkönige. Schließlich wuchs um die Jahrtausendwende – unter der alleinregierenden SPD des damaligen Ministerpräsidenten und heuten SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel – die Verschuldung Niedersachsens um sagenhafte 93 Euro pro Sekunde.

„Damals gingen die Einnahmen aufgrund der rot-grünen Reform der Körperschaftssteuer massiv zurück. Das kann man der damaligen Landesregierung nicht vorwerfen. Wohl aber, dass die Ausgaben nicht reduziert wurden. Hier wurde die Lücke einfach durch die Aufnahme weiterer Schulden geschlossen“, erklärt Bernhard Zentgraf vom Bund der Steuerzahler.

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht genüsslich von einer „Schuldenorgie“ unter Sigmar Gabriel und hofft, dass ihre CDU im Wahlkampf 2013 mit einem Spar-Gelöbnis punkten kann. Dass will auch der Koalitionspartner der Union in Niedersachsen und im Bund, die FDP.

Die Liberalen konzentrieren sich im Norden fast ausschließlich auf das Haushalts-Thema: Mit dem Wahlkampf-Slogan „Schluss mit Schulden“ will die Partei verhindern, dass es bald heißt: Schluss mit der FDP.
*Name geändert

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