Wenn es wirklich ernst wird, kann der gelernte Sozialpolitiker Horst Seehofer auch ganz friedfertig sein. „Wir wollen, dass die FDP sich stabilisiert“, verkündet der CSU-Vorsitzende und bayrische Ministerpräsident. „Fünf Prozent sind für die FDP mindestens erreichbar.“ Und er ist sogar zu inhaltlichen Zugeständnissen bereit, um den Koalitionspartner in Berlin und München zu retten. „Der Kompromiss im November war für alle Seiten nicht einfach, aber er ist belastbar. Die Grenze ist da erreicht, wo es um Kernanliegen der Union geht.“ Damals hatten sich die drei Regierungsparteien unter anderem auf einen Abbau der kalten Steuerprogression, das Betreuungsgeld und mehr Leistungen der Pflegeversicherung geeinigt. Den FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler lobt er als „absolut vertragstreu“.
Etwas direkter beschreibt Josef Schlarmann die Lage der Regierungsparteien, der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung: „Wenn sogar Seehofer sein Herz für die FDP entdeckt, dann ist sie ein Sozialfall.“ Und fügt nüchtern hinzu: „Das Verhältnis zwischen CDU und FDP ist zerrüttet.“
Über die Fünf-Prozent-Hürde hieven
In der Tat: Während Unionspolitiker mit Schrecken zum Partner schauen und die eigene Zukunft vom Überlebenskampf des kleinen Partners bedroht sehen, fühlt sich die FDP immer neuen Nadelstichen der Schwarzen ausgesetzt. Bei den Freidemokraten mischt sich schiere Existenzangst mit der Unzufriedenheit über die eigene Führung.
In der Fraktionssitzung dieser Woche wollen einige Abgeordnete ein heikles Thema zur Sprache bringen: Lohnt es sich überhaupt noch, in dieser Koalition zu bleiben? Oder lässt sich die FDP nur dadurch wieder über die Fünf-Prozent-Hürde hieven, dass sie sich aus der Beugehaft der Unionsparteien befreit?
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Machtwechsel in der FDP?
Viele Parteimitglieder geben ihm die Schuld: Dem Parteivorsitzenden Philipp Rösler. Seit Wochen schon wird darüber diskutiert, ob Rösler nach einem niedersächsischen Wahldebakel zurücktritt. Noch am Freitag vor der Wahl bezweifelte dies FDP-Bundestagsfraktionsvorsitzender Rainer Brüderle. Allerdings fordert er, dass der kommende Parteitag vorgezogen wird – an dem auch die Wahl zum Parteivorsitzendem ansteht. Bisher ist der Parteitag für Mai 2013 geplant. Rainer Brüderle werden gute Chancen zugerechnet Rösler abzulösen.
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Rösler: Vom Hoffnungsträger zum Buhmann
Rösler kommt nach den Wahlniederlagen im Frühjahr 2011 zum Zug: Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg: Die FDP kassiert gleich drei krachende Wahlniederlagen. In Mainz fliegen die Liberalen nicht nur aus der Regierung, sondern auch aus dem Landtag. Sie bekommen nur noch 4,2 Prozent der Stimmen, 3,8 Prozent weniger als fünf Jahre zuvor. Auch in Sachsen-Anhalt ist für die FDP kein Platz im Parlament, die Partei scheiterte mit 3,8 Prozent klar an der Fünf-Prozent-Hürde. In Baden-Württemberg fällt die FDP von 10,7 auf 5,3 Prozent. Grün-Rot übernimmt die Macht.
Damaliger Buhmann ist Röslers Vorgänger Guido Westerwelle, der von seinem Amt zurücktritt.
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Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler wird am 13. Mai in Rostock mit 95,1 Prozent der Stimmen zum neuen FDP-Vorsitzenden gewählt. „Ab heute wird die FDP liefern“, kündigt er in seiner Antrittsrede an.
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Trotz Führungswechsels verharren die Liberalen im Umfragetief. Die FDP startet einen Verzweiflungsversuch, um die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern zu ihren Gunsten zu entscheiden: Sie macht auf Wahlplakaten Stimmung gegen die Einführung von Eurobonds. Der Erfolg bleibt aus, die FDP verliert 6,8 Prozent und fliegt aus dem Landtag.
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In Berlin folgt das nächste Fiasko. Die FDP holt gerade einmal 1,8 Prozent der Stimmen zum Berliner Abgeordnetenhaus und liegt damit hinter der NPD und nur knapp vor der Tierschutzpartei.
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Rösler beteuert anschließend, dass die FDP ihren europäischen Kurs nicht verlassen wolle und beharrt darauf, dass eine „geordnete Insolvenz“ Griechenlands eine Option bleiben müsse. Gehört wird der Parteivorsitzende nicht, die Euro-Rettung wird von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel gestaltet. Die FDP trägt ihre Rettungspläne mit, die Basis murrt.
Eine Gruppe um den FDP-Abgeordneten Frank Schäffler sammelt mehr als 3500 Unterschriften von Parteimitgliedern und erzwingt damit einen Mitgliederentscheid zum Europa-Kurs der Liberalen. Die Euro-Rebellen um Schäffler wollen die FDP in dem Entscheid gegen den Willen der FDP-Führung um Rösler auf ein Nein zum geplanten Euro-Rettungsfonds ESM festlegen.
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Der Entscheid stiftet Unruhe in der Partei. Die Initiatoren werfen der Parteispitze Behinderung vor. Rösler und Lindner ziehen heftige Kritik auf sich, als sie vor Ablauf des Entscheids öffentlich die Erwartung äußern, dass die nötige Mindestbeteiligung von einem Drittel der Mitglieder verfehlt werde.
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Fehlende Loyalität von den Parteigrößen Rösler, Brüderle und Westerwelle sowie der Ärger um den Mitgliederentscheid zum Euro-Kurs: FDP-Generalsekretär Christian Lindner tritt zurück. Auch Philipp Rösler gerät zunehmend in die Kritik.
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Patrick Döring folgt auf Lindner, doch auch zu Beginn des Jahres 2012 stolpert die FDP von einer Verlegenheit in die andere - auch weil der von FDP und CDU/CSU gewählte Bundespräsident Christian Wulff im Zuge seiner Kredit-Affäre dem Ansehen des Amtes schadet. Philipp Rösler holt zum Paukenschlag aus: Er prescht...
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... bei der Suche nach einem neuen Bundespräsidenten vor und schlägt - wie auch SPD und Grüne - Joachim Gauck für das höchste Amt im Staate vor. Die Kanzlerin ist düpiert, doch in der Wählergunst macht die FDP keinen Sprung. Rösler hat sich verzockt. Denn das Verhältnis zur CDU ist nun beschädigt, für die Liberalen dürfte es in der Regierung fortan noch schwerer werden, Gehör zu finden.
Bündnisbruch
Geschockt hat sie, dass ihr der vermeintliche Traumpartner gerade erstmals den Stuhl vor die Tür gestellt hat. Vielen Freidemokraten schwant: Saarbrücken war nicht Ausrutscher, sondern Auftakt.
Im kleinen Saarland hatte die CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer am Dreikönigstag die erste Jamaika-Koalition auf Landesebene in Deutschland aufgekündigt – just zeitgleich mit der FDP-Kundgebung in Stuttgart, dem traditionellen Hochamt der Liberalen. Während deren angeschlagener Parteivorsitzender Philipp Rösler am Rednerpult ums politische Überleben kämpfte, liefen auf den Handys am Podiumstisch die Eilmeldungen über den Bündnisbruch ein.
Als Unsportlichkeit gewertet
Als grobe Unsportlichkeit werteten die Liberalen den Zeitpunkt – zwei Tage länger hätte die CDU-Frau nach ihrer Meinung schon noch durchhalten können. „Das würde man nicht mal mit dem politischen Gegner machen“, schimpft der Bundestagsabgeordnete Jimmy Schulz.
Absicht sei das gar nicht gewesen, tönt es dagegen aus dem Kanzleramt. Eher eine Unachtsamkeit. „So ist das doch oft in der Politik“, sagt ein Merkel-Vertrauter. „Die einen sehen sich als Opfer einer Intrige, dabei waren die anderen nur gedankenlos.“
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