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Hochfrequenzhandel: „Die Börse wird zum Casino“

von Jörg Hackhausen Quelle: Handelsblatt Online

Computer beherrschen die Börsen. Jetzt soll ein Gesetz den sogenannten Hochfrequenzhandel entschleunigen. Heute diskutiert der Finanzausschuss darüber. „Mister Dax“ will am liebsten alles verbieten.

Der Faktor Mensch spielt an der Börse nur noch eine Nebenrolle. Quelle: dapd
Der Faktor Mensch spielt an der Börse nur noch eine Nebenrolle. Quelle: dapd

Frankfurt, DüsseldorfDen Dax gibt es seit 1988. Doch wenn man sich anschaut, wie es damals an der Börse zuging, und was heute los ist, dann scheint dazwischen nicht nur ein Vierteljahrhundert zu liegen, dazwischen liegen Welten.
Der Handel öffnete damals um 11.30 Uhr. Auf dem Parkett liefen die Händler hin und her, wedelten mit handgeschriebenen Zetteln, machten ein Geschäft per Handzeichen. Nach zwei Stunden war alles schon wieder vorbei. Um 13.30 Uhr endete der Handelstag. An sehr guten Tagen ging es direkt im Anschluss in die Kneipe.

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Heute sind die Menschen an der Börse nur noch Kulisse, fürs Fernsehen und für die Fotografen. Der Handel wird beherrscht von Maschinen. Sie kaufen und verkaufen in Millisekunden, handeln selbstständig nach den Algorithmen, mit denen man sie gefüttert hat. Ein Mensch kommt da nicht mehr mit. An der Deutschen Börse steuert der sogenannte Hochfrequenzhandel nach Schätzungen knapp die Hälfte des Handelsvolumens bei, an den US-Börsen liegt der Anteil bei 70 Prozent.

Der Siegeszug der Maschinen ängstigt manchen Zeitgenossen. Durch den superschnellen Computerhandel seien die Börsen unberechenbarer geworden, anfälliger für Crashs, sagen die Kritiker. Sie wollen die Zeit am liebsten zurückdrehen, oder zumindest etwas entschleunigen. Die Regierungskoalition hat einen Gesetzentwurf zur schärferen Regulierung vorgelegt. Am heutigen Mittwoch diskutiert der Finanzausschuss in Berlin darüber. Das Gesetz ist gut gemeint - nur ändern wird sich dadurch kaum etwas.
„Ich halte das Gesetz für viel zu schwach angesetzt“, sagt Dirk Müller. Er saß einst als Händler an der Börse, war das bekannteste Gesicht im Handelssaal. Spitzname: „Mister Dax“. Heute schreibt er Bücher und hält Seminare über Geldanlage. Und er wird als Experte im Finanzausschuss angehört. Seine Meinung zum Hochfrequenzhandel, die er dort kundtun will, ist unmissverständlich: „Hochfrequenzhandel hat keinen volkswirtschaftlichen Nutzen, er richtet nur Schaden an. Wenn man es zu Ende denkt, dann müsste man ihn komplett verbieten.“

So weit wird es nicht kommen. Das geplante Gesetz schreibt zwar einige Mechanismen vor, die das Kaufen und Verkaufen sicherer machen sollen. Aber der superschnelle Handel wird weiterhin möglich sein. Eine vorgeschriebene Haltefrist für Wertpapiere – im Gespräch waren 0,5 Sekunden beziehungsweise 500 Millisekunden – ist im Entwurf nicht enthalten. Unter anderem hatte der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI), der die deutsche Fondsbranche vertritt, eine solche Frist gefordert, um den Handel zu verlangsamen.


300 mal schneller als ein Wimpernschlag

Wenn wir einmal mit der Wimper zucken, vergehen etwa 100 Millisekunden. Der Flügelschlag einer Honigbiene geht in fünf Millisekunden vonstatten. Im Computerhandel ist das immer noch eine halbe Ewigkeit. Die schnellsten Rechner in Frankfurt benötigen von der Übermittlung der Order über die Verarbeitung bis hin zur Rückmeldung an den Auftraggeber gerade einmal 0,25 bis 0,3 Millisekunden. Damit solche Blitztransfers überhaupt möglich sind, zahlen die Hochfrequenzhändler dafür, ihre Computer so nah wie möglich am zentralen Rechner der Börse zu platzieren. Für den Börsenbetreiber ist das ein lukratives Geschäft, im Fachjargon Co-Location genannt. Nach Angaben der Börse haben circa 50 Kunden diesen privilegierten Zugang erworben.

Hochfrequenzhandel ist keine Investment-Strategie, sondern in erster Linie eine Technik. Ein Ziel ist es, anderen Marktteilnehmern zuvorzukommen oder minimale Kursabweichungen auszunutzen. Die Firmen, die Hochfrequenzhandel nutzen, reden wenig darüber. Klar ist nur, dass darunter Spezialisten wie die US-Firma Getco sind, aber auch Goldman Sachs und andere Großbanken.
Die Befürworter sagen, dass durch Hochfrequenzhändler die notwendige Liquidität bereitgestellt werde, um einen regen Handel zu gewährleisten. Eine Studie von Peter Gomber von der Universität Frankfurt, gesponsert von der Deutschen Börse, kommt zu dem Schluss: „Die Mehrheit der auf High Frequency Trading basierenden Strategien trägt zur Marktliquidität oder zur Preisfindung und Markteffizienz bei.” Mehrere internationale Studien aus den vergangenen Jahren kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

„Wir brauchen Liquidität, aber man durch zu viel Liquidität auch schnell ums Leben kommen, nämlich darin Ersaufen“, sagt Dirk Müller. „Wenn es zur Sache geht, dann kommt die Liquidität in Bewegung und führt zu extremen Ausschlägen.“ Müller steht auf dem Standpunkt, der Hochfrequenzhandel verstärke die Schwankungen an den Märkten.
Auch die Bundesbank rät dazu, den Hochfrequenzhandel zu kontrollieren. Es sei richtig, den Risiken entgegenzuwirken, „die sich aus der übermäßigen Belastung der Handelssysteme, der Verletzung der Marktintegrität durch manipulative Strategien sowie der Instabilität der Finanzmärkte durch überhöhte Volatilität ergeben“.


Die Pannen häufen sich

Derzeit hätten Aufseher keine ausreichenden Informationen darüber, wer diesen Handel betreibe, wo entsprechende Firmen angesiedelt seien und welchen Anteil der Hochfrequenzhandel am Gesamthandel ausmache, so die Bundesbank. Daher sei mehr Transparenz zu begrüßen. Es sollte zudem ein Mechanismus erwogen werden, mit dem fehlerhafte und marktschädliche Algorithmen schnell ausgeschaltet werden könnten. Von der Einführung einer Mindesthaltedauer hält die Bundesbank allerdings gar nichts.

Auffällig ist, dass sich in den USA mit der Zunahme des Computerhandels auch die Pannen häufen, etwa weil die Börsenbetreiber der wachsenden Datenflut nicht gewachsen sind. Das berüchtigtste Beispiel ist der sogenannte „Flash Crash“. Am 6. Mai 2010 fiel der Dow Jones innerhalb von acht Minuten um über 1.000 Punkte. Innerhalb dieser Zeit wurden beinahe 1,3 Milliarden Aktien gehandelt, das Sechsfache des Durchschnitts.
Ein vierköpfiges Forscherteam um Albert Kyle von der University of Maryland versuchte hinterher die Ursache für den „Flash Crash” zu finden. Der automatisierte Handel habe den Crash zwar nicht ausgelöst, ihn aber verstärkt, so die Forscher. Die technischen Innovationen seien kritisch für den Markt. Damit können auch die Kritiker eine wissenschaftliche Studie ins Feld führen.

Die Liste der Zwischenfälle an den US-Börsen ist im vergangenen Jahr noch länger geworden. Im März endete der Börsengang der US-Börse BATS Global Markets im Chaos, nachdem die Aktie binnen Minuten von 16 Dollar auf unter einen Cent rauschte. Beim Börsengang von Facebook an der Nasdaq im Mai konnte in der ersten halben Stunde kein Kurs ermittelt werden, weil die Technik überfordert war. Im August spielten die Kurse nach einem Fehler beim Handelshaus Knight Capital verrückt.
Hierzulande sind derartige Pannen noch nicht vorgekommen. Die Deutsche Börse hält ihre Systeme für sicher. „Hochfrequenzhandel kann zu einem Börsencrash führen – aber nur, wenn es keine ausreichenden Sicherungsmechanismen gibt“, sagt Rainer Riess, Xetra-Manager der Deutschen Börse. „Keiner dieser Fehler hätte in Europa passieren können.“

„Ergibt es Sinn, eine Aktie für eine Nanosekunde zu halten?“

Die Deutsche Börse hat einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die in den USA gerade erst diskutiert werden. Schlägt ein Kurs beispielsweise zu stark aus, wird der Handel in diesem Wert automatisch für kurze Zeit gestoppt und per Auktion neugestartet – sozusagen als Denkpause für alle Marktteilnehmer. Solche Volatilitäts-Unterbrechungen gibt es in Deutschland seit 15 Jahren.

Deshalb begrüßen die Börsenmanager die meisten Punkte des geplanten Gesetzes zum Hochfrequenzhandel, zum Beispiel Verbesserungen im Risikomanagement oder höhere Gebühren für exzessive Nutzung der Systeme.
Allerdings warnt die Börse vor der einer Einführung einer Mindesthaltedauer, die es zwar nicht in den deutschen Gesetzentwurf geschafft hat, aber vom EU-Parlament auf europäischer Ebene vorangetrieben wird. In einer Stellungnahme der Deutschen Börse heißt es: „Mindesthaltefristen führen zu einer Benachteiligung von Liquiditätsspendern und somit zu einer nachhaltigen Störung der Marktstruktur. Die angestrebte Entschleunigung wird hierdurch nicht erreicht werden. Stattdessen wird lediglich die Komplexität der Märkte erhöht.“

Händler müssten auf neue Informationen schnellstmöglich reagieren und ihre Orders anpassen können, argumentiert die Börse. Könnten sie dies nicht, würden sie abwandern oder schlechtere Preise anbieten, um nicht auf dem falschen Fuß erwischt zu werden.
Dirk Müller, der ehemalige Börsenhändler, kann das alles nicht nachvollziehen. „Was für einen Sinn ergibt es, eine Aktie für nur eine Nanosekunde zu halten?“, fragt er. Die Börse entferne sich immer mehr von ihrem eigentlichen Auftrag, nämlich Unternehmer, die eine Idee haben, zusammenzubringen mit Investoren, die Geld haben. „So entwickelt sich die Börse hin zum reinen Casino“, sagt Müller.

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