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Arbeitsmarkt: Frankreich beginnt mit Strukturreformen

von Thomas Hanke Quelle: Handelsblatt Online

Die Einigung der Sozialpartner auf einen flexibleren Arbeitsmarkt öffnet Frankreich den Weg zu mehr Wettbewerbsfähigkeit. Doch bis zur Wochenmitte sah es nach einem Scheitern der Verhandlungen aus.

Bis zur Mitte der Woche sah es noch so aus, als würden die Verhandlungen in Frankreich scheitern. Quelle: Reuters
Bis zur Mitte der Woche sah es noch so aus, als würden die Verhandlungen in Frankreich scheitern. Quelle: Reuters

ParisMit einer tiefgreifenden Arbeitsmarktreform hat Frankreich in der Nacht zum Samstag Kurs auf die Modernisierung seiner Wirtschaft genommen. Arbeitgeberverbände und drei Gewerkschaften einigten sich nach mehrmonatigen Verhandlungen auf eine Flexibilisierung zugunsten der Unternehmen. Gleichzeitig erhalten die Arbeitnehmer neue Rechte, prekäre Arbeitsverhältnisse werden zurückgedrängt. Nicht nur für die französische Wirtschaft, sondern auch für die Regierung ist das ein großer Erfolg.
Frankreichs wichtigster Unternehmerverband Medef spricht in einer ersten Bewertung von einer Reform, die „Frankreich auf den höchsten europäischen Standard in Sachen Arbeitsmarkt und Sozialbeziehungen“ hebe. Damit werde ein hoher Grad von „Flexicurity“ erreicht. Der englische Begriff steht für die Kombination von flexiblem Arbeitsmarkt mit Sicherheit für die Arbeitnehmer. Frankreich könne nun „bedeutsame Fortschritte bei der Rückgewinnung seiner Wettbewerbsfähigkeit“ erreichen.

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Für die Unternehmen sind zwei Veränderungen besonders wichtig. Erstens können sie künftig bei schwierigen konjunkturellen Bedingungen für maximal zwei Jahre Löhne senken und/oder die Arbeitszeit verlängern, wenn es dafür innerhalb des Unternehmens eine Mehrheit der Arbeitnehmer gibt. Diese von Tarif- und Arbeitsverträgen abweichenden Bestimmungen sind verbindlich. Einzelne Arbeitnehmer können sich zwar unter Berufung auf ihren Arbeitsvertrag widersetzen, können dann aber entlassen werden.

Die neuen, den deutschen Öffnungsklauseln und Standortsicherungsverträgen ähnelnden Bestimmungen müssen vorsehen, dass die Beschäftigung auf gleichem Niveau erhalten bleibt und nach Ablauf des Krisenvertrages der eventuell erreichte wirtschaftliche Fortschritt auf gerechte Weise zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern geteilt wird.


Vereinfachte Restrukturierung von Unternehmen

Zweitens erlaubt die Reform eine vereinfachte Restrukturierung von Unternehmen. Bislang ist das nur möglich, wenn ein spezielles Sozialplan-Verfahren eingehalten wurde. Das beinhaltet nicht nur monatelange Vorgespräche, sondern hatte auch teils jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen zur Folge. Künftig wird es möglich sein, auf zwei alternativen Wegen sehr viel schneller zu reorganisieren: Entweder mittels einer Einigung mit dem Betriebsrat, die es erlaubt, auch von engen gesetzlichen Vorgaben über Form und Inhalt des Sozialplans abzuweichen.

Schon vor Ablauf des Verfahrens kann das Unternehmen beginnen, Arbeitnehmer intern umzubesetzen. Oder, falls es nicht zur Verständigung zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung kommt, durch einen Restrukturierungsplan des Managements. Der muss der staatlichen Arbeitsverwaltung vorgelegt werden, darf aber nur unter strikt definierten Voraussetzungen abgelehnt werden.
Diese beiden Veränderungen erlauben es den französischen Unternehmen, künftig sehr viel schneller ihre Organisation an veränderte wirtschaftliche Bedingungen anzupassen. Die geltenden starren Vorschriften haben bislang dazu geführt, dass Frankreichs Wirtschaft trotz Krise mit hohen Lohnkosten und in ganz Europa einmalig kurzen Arbeitszeiten zurechtkommen musste. Zwei Handicaps, die das hohe Defizit im Außenhandel und die seit 19 Monaten zunehmende Arbeitslosigkeit erklären.

Für die Arbeitnehmer bestehen die wichtigsten Verbesserungen in einer erweiterten Krankenversicherung und höheren Sozialabgaben für befristete Verträge. Damit soll der gespaltene Arbeitsmarkt überwunden werden. In der jüngeren Vergangenheit entfielen 80 Prozent der neuen Verträge auf Arbeitsverhältnisse mit extrem kurzer Laufzeit, teils unter einer Woche. Für solche prekären Jobs müssen die Arbeitgeber künftig höhere Abgaben entrichten. Bis zuletzt hatten sie sich dagegen gewährt.


Kurzfristige Einigung

Noch Mitte der Woche sah es so aus, als würden die Verhandlungen daran scheitern. Auch die gemäßigten Gewerkschaften hätten sich kaum auf eine Vereinbarung einlassen können, bei der sie weitgehende Zugeständnisse in Sachen Flexibilität machen, ohne eine direkt vorzeigbare Gegenleistung zu erhalten. Hinter den Kulissen hatte die Regierung den Druck auf die Arbeitgeber erhöht, um sie zum Einlenken bei den flexiblen Verträgen zu bewegen. Schließlich erhalten die Arbeitnehmer auch zusätzliche Vertreter mit Stimmrecht in den Aufsichtsräten.

Voraussichtlich werden nur drei der fünf wichtigsten französischen Gewerkschaften die Reform unterschreiben: Die den Sozialisten nahestehende CFDT, die christliche CFTC und der Verband der leitenden Angestellte CFE-CGC. Die radikalere Force Ouvrière und die kommunistische CGT lehnen die Reform kategorisch ab und sprechen von einem Debakel für die Arbeitnehmer, das zu mehr Unsicherheit führen werde. Doch kann die Vereinbarung bereits mit zwei Gewerkschaften in Kraft treten. Staatspräsident François Hollande und Premier Jean-Marc Ayrault begrüßten sie in Stellungnahmen als historischen Fortschritt. Die Reform im Konsens erlaubt es ihnen, in den nächsten Wochen rasch das Arbeits- und Sozialrecht anzupassen, ohne einen Großkonflikt mit den Gewerkschaften zu riskieren.

Über die einzelnen Bestimmungen hinaus liegt die Bedeutung der Vereinbarung darin, dass sie erstmals den Weg zu partnerschaftlichen Sozialbeziehungen öffnet. Frankreichs Wirtschaft leidet unter einer seit Jahrzehnten wirkenden Kultur des Misstrauens und Konflikts, die die Stimmung in den Unternehmen vergiftet und die Motivation der Mitarbeiter verringert. In den nächsten Jahren könnte sich das grundsätzlich verändern. Im Selbstlauf wird das allerdings nicht geschehen: Erst sind Kraftakte in vielen Unternehmen notwendig, die auch zu harten innerbetrieblichen Auseinandersetzungen zwischen den diversen Gewerkschaften führen werden. Doch ist nun die Tür geöffnet für eine französische Wirtschaft, die kooperativer funktioniert als in der Vergangenheit und sich rascher auf die Anforderungen der Globalisierung einstellen kann.

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