Fast zwei Jahre hatte er immer wieder verhandelt, kurz vor Weihnachten schlägt er zu: Renzo Rosso übernimmt die Mehrheit an Marni – einem italienischen Modeunternehmen, das rund 130 Millionen Euro Umsatz macht, aber keinerlei Werbung. Gründer und Eigentümer des übernommenen Labels ist der Designer Gianni Castiglioni, mit dem Rosso in seiner Freizeit gelegentlich Fußball kickt.
Eine Millioneninvestition mitten in der Euro-Krise, finanziert rein aus der Portokasse, dazu eine Vermischung von Privatvergnügen und Geschäftlichem: Auf den ersten Blick hatte Renzo Rosso so ziemlich alles falsch gemacht. Mal wieder. Doch als er seinen jüngsten Coup verkündet, äußert der 57-jährige Gründer der Modemarke Diesel keinerlei Selbstzweifel: "Wenn man als Unternehmer von einer Sache überzeugt ist, gibt es kein Zurück – Freundschaften und Wirtschaftskrise hin oder her", sagt Rosso im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. "Das neue Unternehmen ergänzt unser Portfolio wie ein fehlendes Puzzleteil und wird uns noch viel Freude bereiten – auch wenn dieses Investment Außenstehenden im Moment verrückt, ja dumm erscheinen mag."
Dem Ruf des Wahnsinns folgen
Be stupid – sei verrückt: Wenn Renzo Rosso über seine steile Karriere spricht, über die Geburt der Jeansmarke Diesel und den Aufbau seines Modeimperiums mit heute über 6000 Mitarbeitern und 1,4 Milliarden Euro Umsatz – dann fällt immer wieder dieser Spruch, der auch seiner gerade auf Deutsch erschienenen Autobiografie den Titel liefert. "Jeder Tag, jede Stunde, jeder Moment, in dem ich nicht verrückt bin, ist für mich verlorene Zeit", sagt Rosso. "Das ist einfach meine Art, zu denken, zu handeln, zu leben."
"Stupid" bedeutet für Rosso keineswegs dumm. Mit verrückt meint Rosso die Fähigkeit, Chancen zu nutzen, wo andere keine sehen. Mögliches Scheitern in Kauf zu nehmen und ausgetretene Wege zu meiden. Nicht automatisch auf die Stimme der Vernunft zu hören, sondern eben auch mal "dem Ruf des Wahnsinns zu folgen", wie er in seiner Autobiografie schreibt. Denn wer nur auf Sicherheit setze, findet Rosso, könne nicht innovativ sein. "Ich sehe Gelegenheiten, die andere nicht sehen – ich habe einen Röntgenblick für Geschäfte."
Mit Kaninchen auf dem Markt
Offenbar schon von Kindesbeinen an: Aufgewachsen auf einem Bauernhof in einem Dorf in der Po-Ebene, ist Rosso gerade mal zehn Jahre alt, als ihm ein Schulfreund ein Kaninchen schenkt. Renzo ist entzückt – aber nicht, weil er nun einen flauschigen Spielkameraden gewonnen hat. Sondern weil er nach ein paar Tagen merkt, dass das Kaninchen ein trächtiges Weibchen ist. Also lässt er sich vom Vater seines Schulfreunds in die Geheimnisse der Kaninchenzucht einweihen, kauft Maschendraht, baut ein paar kleine Ställe mit Futternäpfen und einfachen Tränken, die er aus abgeschnittenen Plastikflaschen bastelt.
Jeden Mittwoch geht er fortan mit seinem Vater, einem angesehenen Farmer, auf den Markt und bietet seine Kaninchen feil. Um die 750 Lire verlangt er pro Kilo – den genauen Tagespreis legt er nach Zeitungslektüre und der Prüfung des Marktangebots fest. Rosso juniors Hauptverkaufsargument: Fleisch aus natürlicher Aufzucht. "Anfangs wurde ich von den erwachsenen Kunden mit Staunen beäugt, aber bald lief das Geschäft wie geschmiert."