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Kommentar Politische Debatte: Lasst die Wissenschaft in Ruhe!

von Ferdinand Knauß

Europas Wissenschaftler verteidigen zurecht die Forschungsausgaben der EU. Aber die dumpfe Ausrichtung des Rahmenprogramms "Horizont 2020" auf wirtschaftliche Verwertbarkeit ist letztlich kontraproduktiv.

Junge Forscher bei einem Laser-Projekt Quelle: dpa
Europas Wissenschaftler sind sich einig darin, dass der Forschungsetat der Europäischen Union nicht unter Einsparungen leiden darf. Quelle: dpa

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Der Streit um den Haushalt der EU für 2013 und die Finanzplanung bis 2020 spaltet Europa. Ganz Europa? Nein, zumindest die Wissenschaftler zwischen Porto und Tallinn, Tromsö und Malta sind sich einig wie nie zuvor. Einig darin, dass der Forschungsetat der Europäischen Union, also das Rahmenprogramm "Horizont 2020", nicht unter Einsparungen leiden darf. "Wir sind überzeugt, dass Europas Zukunft davon abhängt, sein wissenschaftliches Talent bestmöglich zu nutzen zum Wohl der Wissenschaft und der Gesellschaft“, schreiben 151.000 Wissenschaftler aus allen EU-Staaten in einer Petition. Das Programm, über dessen Umfang die Mitgliedstaaten derzeit verhandeln, und das sie im kommenden Sommer beschließen wollen, wird die Forschungsförderung der EU von 2014 bis 2020 umfassen. Sie sorgen sich, dass das Budget für 2020 geringer als die von der Kommission veranschlagten 80 Milliarden Euro ausfällt.

Natürlich kann die "Initiative for Science in Europe" (ISE) bei dieser Aktion mit großer Sympathie rechnen. Bundesforschungsministerin Schavan hat - wen wundert es - ihre Zuneigung bereits geäußert, obwohl sich die Bundesregierung nicht zu konkreten Zahlen äußern will. Und natürlich haben die Wissenschaftler Recht, wenn sie fordern, "dass Investitionen in Forschung, Innovation und Bildung oberste politische Priorität haben, gerade in Zeiten der Krise."

Der Halbleiter-Hersteller Infineon hat in vergangenen Jahr 612 Millionen Dollar in Forschung und Entwicklung investiert. Unter den Unternehmen mit den größten F&E-Investitionen in Deutschland belegt Infineon damit Platz zehn, international ist es allerdings nur Rang 193. 2011 stand das Unternehmen noch auf Platz 199.

Insgesamt haben sind die Budgets für Forschung und Entwicklung in Europa im Jahr 2011um 5,4 Prozent gestiegen (weltweit waren es 9,6 Prozent). Die deutschen Konzerne erhöhten dagegen um 14,8 Prozent auf 603 Milliarden Dollar. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich klar vor Frankreich (32,3 Milliarden Dollar) und der Schweiz (30,2 Milliarden Dollar).

Bild: dpa

Aber die Einigkeit der Forscher hat einen Haken. Sie verdeckt nämlich unter dem Mantel des gemeinsamen Kampfes für mehr Forschungsmittel eine grundsätzlichere Frage der europäischen und auch der nationalen, deutschen Forschungspolitik. Ist die in "Horizont 2020" deutlich werdende Orientierung an angewandter und industrieller Forschung der richtige Weg?

Das europäische Forschungsrahmenprogramm ist nur der jüngste und wichtigste Fall dieser Tendenz. Auf allen Ebenen sind die Geldverteiler in den Landesministerien, im Bundesforschungsministerium und in Brüssel immer stärker von dem Wunsch getrieben, die Ergebnisse von Forschungsförderung vorhersehbar zu machen. Vorhersehbar in dem Sinne, dass sie unmittelbar wirtschaftlich verwertbare Ergebnisse, Innovationen und damit Wachstum und Arbeitsplätze produzieren.

Der Kommissionsvorschlag zum Rahmenprogramm ist durchdrungen von dieser Vorstellung: "Investitionen in diesem Bereich bringen auch unternehmerische Möglichkeiten, da innovative Produkte und Dienstleistungen entstehen. ... Der Name des neuen Förderprogramms der Union für Forschung und Innovation – Horizont 2020 – zeugt von dem Bestreben, Ideen, Wachstum und Arbeitsplätze für die Zukunft hervorzubringen."  Selbst das Kapitel über Wissenschaftsexzellenz beginnt mit den Worten: "Europa hat sich zum Ziel gesetzt, ein neues Wirtschaftsmodell anzustreben, das sich auf ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum stützt."

2 KommentareAlle Kommentare lesen
  • 14.12.2012, 19:45 UhrWFriedrich

    Grundlagenforschung, die nicht gleitend in Applikationsforschung mündet, vergeudet gesellschaftliche Leistungskraft. Der Wunsch nach "Forschung im Elfenbeinturm" ist wohl stets subjektiv motiviert gewesen. Werfen wir einen Blick zurück; zurück auf die Wegbereiter des Indstriezeitalters. Es waren anwendungsorientierte Forscher und Entwickler. Beispielhaft für viele sind Watt, Edison, Siemens. In der Gegenwart muss die bewährte, auf wirtschaftliche Verwertung ausgerichtete Forschungstraditionstradition nicht preis gegeben, sondern durch arbeitsteilige Forschung und Entwicklung noch effizienter werden. Verzicht auf Verwertungsorientierung wird den Beitrag der Forschung zur Bildung verringern. In Patentämtern lagern neben Bahnbrechendem auch massenhaft Gedankenakrobatik, mit der man Studenten der ersten Semester belustigen könnte. In unserer schnelllebigen und von schonungslosem Wettbewerb geprägten Zeit benötigen wir knallharte wirtschaftliche Zielvorgaben in den Lasten- und Pflichtenheften. Dadurch trennt sich Weizen vom Spreu.

  • 13.12.2012, 18:37 UhrCharly

    "Europas Wissenschaftler verteidigen zurecht die Forschungsausgaben der EU. Aber die dumpfe Ausrichtung des Rahmenprogramms "Horizont 2020" auf wirtschaftliche Verwertbarkeit ist letztlich kontraproduktiv."

    Nicht nur die Forschungsprogramme sind kontraproduktiv.
    Das ganze Bildungssystem ist mittlerweile verstärkt am kurzfristigen Interesse der Wirtschaft ausgerichtet.

    Letztlich schneidet sich die Wirtschaft damit aber ins eigene Fleisch.
    Man produziert nämlich damit ein Heer von billigen "Fachidioten" die nicht mehr über den eigenen Horizont blicken können.

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