Der Streit um den Haushalt der EU für 2013 und die Finanzplanung bis 2020 spaltet Europa. Ganz Europa? Nein, zumindest die Wissenschaftler zwischen Porto und Tallinn, Tromsö und Malta sind sich einig wie nie zuvor. Einig darin, dass der Forschungsetat der Europäischen Union, also das Rahmenprogramm "Horizont 2020", nicht unter Einsparungen leiden darf. "Wir sind überzeugt, dass Europas Zukunft davon abhängt, sein wissenschaftliches Talent bestmöglich zu nutzen zum Wohl der Wissenschaft und der Gesellschaft“, schreiben 151.000 Wissenschaftler aus allen EU-Staaten in einer Petition. Das Programm, über dessen Umfang die Mitgliedstaaten derzeit verhandeln, und das sie im kommenden Sommer beschließen wollen, wird die Forschungsförderung der EU von 2014 bis 2020 umfassen. Sie sorgen sich, dass das Budget für 2020 geringer als die von der Kommission veranschlagten 80 Milliarden Euro ausfällt.
Natürlich kann die "Initiative for Science in Europe" (ISE) bei dieser Aktion mit großer Sympathie rechnen. Bundesforschungsministerin Schavan hat - wen wundert es - ihre Zuneigung bereits geäußert, obwohl sich die Bundesregierung nicht zu konkreten Zahlen äußern will. Und natürlich haben die Wissenschaftler Recht, wenn sie fordern, "dass Investitionen in Forschung, Innovation und Bildung oberste politische Priorität haben, gerade in Zeiten der Krise."
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Der Halbleiter-Hersteller Infineon hat in vergangenen Jahr 612 Millionen Dollar in Forschung und Entwicklung investiert. Unter den Unternehmen mit den größten F&E-Investitionen in Deutschland belegt Infineon damit Platz zehn, international ist es allerdings nur Rang 193. 2011 stand das Unternehmen noch auf Platz 199.
Insgesamt haben sind die Budgets für Forschung und Entwicklung in Europa im Jahr 2011um 5,4 Prozent gestiegen (weltweit waren es 9,6 Prozent). Die deutschen Konzerne erhöhten dagegen um 14,8 Prozent auf 603 Milliarden Dollar. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich klar vor Frankreich (32,3 Milliarden Dollar) und der Schweiz (30,2 Milliarden Dollar).
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Der Pharmakonzern Merck hat sich international um zwei Plätze hochgekämpft. 2012 schaffte es das Unternehmen mit einem Forschungsbudget von 2,112 Milliarden Dollar auf Platz 66. Innerhalb Deutschlands schafft es das Unternehmen auf Rang neun.
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Bei dem Chemiekonzern BASF ging es dagegen um zwei Plätze bergab - im internationalen Vergleich rutschte das Unternehmen von Rang 60 auf 62. Mit 2,234 Milliarden Dollar Forschungsbudget landet das Unternehmen deutschlandintern auf dem achten Rang.
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Ein wichtiger Treiber für die massiven Investitionszuwächse bei den F&E-Ausgaben ist die in vielen Branchen enorm beschleunigte Produktentwicklung, heißt es in der Studie. "Wir sehen in einigen forschungsintensiven Industrien seit Jahren eine drastisch verkürzte Halbwertszeit vieler Produkte", sagt Klaus-Peter Gushurst, Sprecher der Geschäftsführung von Booz & Company. "So sind die Innovationszyklen beispielsweise bei den IT- und Elektronikherstellern oder in der Pharma- und Automobilindustrie wesentlich kürzer. Daher verwundert es nicht, dass allein diese Branchen zwei Drittel der weltweiten F&E-Investments schultern."
Zu sehen auch am Reifenhersteller Continental. Der Autozulieferer steigerte sein Forschungsbudget im letzten Jahr auf 2,24 Milliarden Dollar und erreichte damit international Platz 61 (Deutschland Rang sieben).
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Der deutsche Softwarehersteller SAP schafft es von 1000 analysierten global tätigen Unternehmen sogar auf Platz 51. Mit einem Forschungsbusiness von 2,69 Milliarden Dollar reicht es im innerdeutschen Vergleich sogar für Platz sechs.
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Der Chemie- und Pharmakonzern Bayer will mit der Übernahme des US-Konzerns Schiff Nutrition International, einen der führenden Anbieter von Vitaminen und Nahrungsergänzungsmitteln in den USA, sein Geschäft mit rezeptfreien Arzneimitteln weiter stärken. Sein Forschungsbudget hat der Konzern dagegen etwas heruntergefahren. Mit Ausgaben in Höhe von 4,082 Milliarden Dollar rutschten die Leverkusener von Rang 31 auf 34 (international). In Deutschland reichen die F&E-Ausgaben für den fünften Platz.
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BMW steht mit Forschungsinvestitionen in Höhe von 5,02 Milliarden Dollar im innerdeutschen Vergleich auf Platz vier - international schafften es die Münchner auf Rang 28.
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Siemens
Acht Milliarden Dollar steckte Siemens im Jahr 2010 in den Bereich Forschung und Entwicklung. Im internationalen Ranking "Global Innovation 1.000“ der Strategieberater Booz & Company reichte das für Platz 20. Im vergangenen Jahr reduzierte der Industriegüterkonzern das Budget allerdings auf 5,474 Milliarden Dollar. Das reichte nur noch für Platz 22 im internationalen Ranking. Im innerdeutschen Vergleich schafft es der Konzern auf Platz drei.
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Mit Daimler haben es gleich zwei deutsche Autobauer unter die besten 20 Unternehmen weltweit geschafft. Das Unternehmen investierte im letzten Jahr 5,81 Milliarden Dollar in Forschung und Entwicklung und schafft es somit in Deutschland auf Platz zwei. International hat sich der Autobauer von Platz 26 auf Platz 19 verbessert.
Wie in den vergangenen beiden Jahren belegen Apple, Google und 3M die Plätze eins bis drei der innovativsten Unternehmen. Facebook musste hingegen seinen zehnten Platz aus dem Vorjahr für den Onlinehändler Amazon räumen.
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Volkswagen
Von allen deutschen Unternehmen investiert Volkswagen am meisten in Forschung und Entwicklung. International reicht es für VW mit einem Forschungsbudget in Höhe von 7,7 Milliarden Dollar für Platz elf. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine Verbesserung um drei Plätze. Vergangenes Jahr konnte VW sein F&E-Investment jedoch auch schon um 19,4 Prozent steigern.
Aber die Einigkeit der Forscher hat einen Haken. Sie verdeckt nämlich unter dem Mantel des gemeinsamen Kampfes für mehr Forschungsmittel eine grundsätzlichere Frage der europäischen und auch der nationalen, deutschen Forschungspolitik. Ist die in "Horizont 2020" deutlich werdende Orientierung an angewandter und industrieller Forschung der richtige Weg?
Das europäische Forschungsrahmenprogramm ist nur der jüngste und wichtigste Fall dieser Tendenz. Auf allen Ebenen sind die Geldverteiler in den Landesministerien, im Bundesforschungsministerium und in Brüssel immer stärker von dem Wunsch getrieben, die Ergebnisse von Forschungsförderung vorhersehbar zu machen. Vorhersehbar in dem Sinne, dass sie unmittelbar wirtschaftlich verwertbare Ergebnisse, Innovationen und damit Wachstum und Arbeitsplätze produzieren.
Der Kommissionsvorschlag zum Rahmenprogramm ist durchdrungen von dieser Vorstellung: "Investitionen in diesem Bereich bringen auch unternehmerische Möglichkeiten, da innovative Produkte und Dienstleistungen entstehen. ... Der Name des neuen Förderprogramms der Union für Forschung und Innovation – Horizont 2020 – zeugt von dem Bestreben, Ideen, Wachstum und Arbeitsplätze für die Zukunft hervorzubringen." Selbst das Kapitel über Wissenschaftsexzellenz beginnt mit den Worten: "Europa hat sich zum Ziel gesetzt, ein neues Wirtschaftsmodell anzustreben, das sich auf ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum stützt."
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