boerse.ARD.de: Herr Schmidt, heute notiert der Dax wieder leicht im Plus. Haben wir das Schlimmste überstanden?
Christian Schmidt: Nein, bisher nicht. Was wir heute sehen, ist ein kurzer Ausschlag nach oben. Es ist wichtig, drei Trends zu unterscheiden, den primären, sekundären und tertiären Trend. Der primäre Trend bestimmt die langfristige Richtung und dieser ist eindeutig abwärts gerichtet. Der tertiäre Trend hingegen ist von kurzer Dauer und kann bis zu vier Wochen dauern. Mit den heutigen Kursgewinnen besteht die Chance, eine temporäre Aufwärtsbewegung zu etablieren.
boerse.ARD.de: Das heißt, der Boden ist noch nicht erreicht?
Schmidt: Auch wenn wir heute eine kurze Zwischenkorrektur nach oben sehen, haben wir einen tragfähigen Boden noch nicht erreicht. Kurzfristig positiv ist, dass der Dax heute die wichtige Unterstützungslinie von 5.410 Punkten verteidigen konnte - das Tagestief bei 5.408 Zählern lag nur marginal darunter. Sollte diese Marke jedoch in den nächsten Tagen gebrochen werden, finden sich die nächsten Unterstützungslinien bei 5.270 und 5.184 Punkten.
boerse.ARD.de:Auch wenn Sie in den nächsten Monaten keinen Aufwärtstrend erwarten, wo werden die Widerstandszonen liegen, wenn dieser eintritt?
Schmidt: Die sehe ich bei 5.610, 5.709, 5.817 und 5.925 Punkten.
boerse.ARD.de: Können Sie uns einen Einblick in das Verhalten größerer Marktteilnehmer geben?
Schmidt: Die größten Investoren auf dem deutschen Aktienmarkt waren ausländische Adressen, insbesondere die Amerikaner. Sie hatten maßgeblich zum Anstieg des Dax bis 7.600 Zähler beigetragen. Angesichts der sich eintrübenden Rahmenbedingungen wie die Schuldenkrise und zuletzt schwächer werdender Wirtschaftskennziffern wird die Risikoaversion weiter hoch bleiben. Es muss damit gerechnet werden, dass sich diese Investorengruppen weiter vom Markt fernhalten.
boerse.ARD.de: Das klingt alles ziemlich düster. Wann können wir am Aktienmarkt denn auf Besserung hoffen?
Schmidt: Nun ja, ich kann Ihnen von einem statistischen Spiel erzählen, welches besagt, die Jahre, die mit einer eins enden, also 1991, 2001 und auch 2011 verzeichnen im zweiten Halbjahr im Durchschnitt 13 Prozent Kursverluste. Der aktuelle Verlauf spricht dafür, dass dies auch in diesem Jahr der Fall sein wird.
boerse.ARD.de: Was müsste passieren, dass der Fall nicht eintritt?
Schmidt: Das Vertrauen müsste wieder hergestellt werden, aber das wird nicht so einfach gehen. Der VDax liegt derzeit bei 44 Punkten, das heißt die Risikoaversion ist sehr hoch. Die Märkte sind äußerst nervös wegen der drohenden Rezession und der europäischen Schuldenkrise. Und die Politik? Die hat ihr Pulver, vor allem in den USA, schon verschossen. Sollten in den kommenden Tagen erneut negative Nachrichten etwa aus Italien und/oder Spanien kommen, würde der Druck auf die Verantwortlichen nochmals zunehmen. Die Länder drängen auf die Einführung der Eurobonds - sie sehen darin einen Ausweg. Eine Börsenweisheit lautet: "politische Börsen haben kurze Beine", das heißt auch wenn kurzzeitig positive Nachrichten von Seiten der Politik kommen, geben diese keine langfristigen Impulse. Die Märkte schauen derzeit sehr stark auf die Politik, vermeintlich positive Signale werden vermutlich nur eine kurze Halbwertszeit haben.
Das Gespräch führte Anita Schneider
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